Julia Extra Band 359
annahm.
„Tony, hi.“ Sie lachte etwas gezwungen. „Oder sollte ich lieber buona sera sagen?“
„Ihre Aussprache ist gar nicht schlecht“, antwortete er. „Hatten Sie schon Gelegenheit, sich mein Haus anzusehen?“
„Ich bin gerade dabei.“
„Ah, sehr gut.“
„Sie haben ein tolles Haus, Tony.“
„Danke. Was halten Sie von den Kunstwerken in meinem Schlafzimmer?“, fragte er in beiläufigem Ton.
„W…was meinen Sie?“ Verlegen blickte Rachel sich nach einer Webcam um. „Warum sollte ich in Ihr Schlafzimmer gehen?“
„Frauen sind nun mal neugierig.“
Es ärgerte sie, dass er recht hatte. Doch sie ignorierte seine Frage. „Welches Zimmer soll ich benutzen?“, erkundigte sie sich stattdessen.
„Das, was Ihnen am besten gefällt. Meins eingeschlossen. Das Bett ist außerordentlich bequem. Ich kann Sie mir dort gut vorstellen.“
„Ach ja?“ Ein Schauer überlief sie, den sie jedoch schnell unterdrückte. „Ich nicht.“
„Das sagt mir zwei Dinge, carina .“
„Welche denn?“
„Erstens, Sie haben in mein Zimmer geschaut.“ Er lachte.
„Und zweitens?“
„Wenn Sie sich selbst nicht darin vorstellen können, dann müssen Sie sich eben mehr anstrengen. Ich melde mich bald wieder.“
Damit legte er auf. Umso besser. Sich auszumalen, wie einer von ihnen oder gar beide in diesem riesigen Bett lagen, war das Letzte, was Rachel jetzt gebrauchen konnte.
Es war schon spät, als Tony es sich an diesem Abend mit einem Glas Wein in seinem Apartment in Manhattan gemütlich machte.
Rachel zog in sein Haus ein.
Natürlich würde sie nicht in seinem Bett schlafen. Das brauchte noch etwas Zeit und viel Fingerspitzengefühl. Die drei Monate, die er unterwegs sein würde, gaben ihm die perfekte Gelegenheit, sie zu umwerben. Tony glaubte ans Flirten. Es war eine Art Tanz: schöne Worte, funkelnde Schmuckstücke, gestohlene Küsse und flüchtige Berührungen. All das führte seiner Erfahrung nach zu dem gewünschten Ergebnis.
Außerdem hatte Rachel ein wenig Romantik verdient.
Er stand auf und ging zu der Glastür, die auf einen Balkon mit einem atemberaubenden Panorama-Blick über den Central Park führte. Trotz der Kälte trat Tony hinaus und stellte sich ans Geländer. Die Verkehrsgeräusche von der Straße unten hörte man kaum.
Noch nie hatte er eine Frau getroffen, die sich ihrer angeborenen Schönheit und Weiblichkeit weniger bewusst war als Rachel. Sie stellte in der Tat eine Herausforderung dar.
Sobald er seinen Wein ausgetrunken hatte, ging er wieder hinein und schenkte sich in der Küche ein zweites Glas ein. Dabei dachte er an die Kette mit dem Anhänger, die Rachel für Astrid kreiert hatte. Er wusste genau, mit welcher Art von Leuten er sie bekannt machen musste. Leute, die nicht nur ihre Kreationen kaufen würden, sondern auch an einer geschäftlichen Beteiligung interessiert wären. Tony hätte es selbst tun können, war jedoch nicht sicher, ob das eine so gute Idee wäre, da er ja daneben noch ein privates Interesse an ihr hatte.
Da klingelte sein Handy. Nach einem Blick auf das Display seufzte er.
„Buona sera, Mamma.“
„Du hast gesagt, du würdest dich melden, sobald du angekommen bist“, meinte sie vorwurfsvoll.
„Mamma, ich bin achtunddreißig.“
„Als deine Mutter mache ich mir eben Sorgen. Genauso wie damals, als du noch ein pausbackiger kleiner Junge warst. Wenn du erst mal selbst Kinder hast, wirst du mich verstehen.“
„Ich bin gut hier angekommen und trinke vorm Schlafengehen nur noch ein Glas warme Milch.“
„Es ist eine Sünde, seine Mutter anzulügen.“ Lucia lachte, wurde dann aber wieder ernst. „Ich mach mir wirklich Sorgen, Tony. Am Donnerstag ist Thanksgiving, und du bist allein. Du brauchst eine Frau. Jemanden, den du liebst. Du brauchst einen Grund, um mehr zu Hause zu sein.“
Es war das alte Lied, doch heute Abend fühlte er sich dabei unbehaglicher als sonst. Vielleicht weil bald eine attraktive Frau in sein Haus einziehen würde.
6. KAPITEL
Rachel saß in einem Besprechungsraum des Makler-Büros ihrem Exmann und seiner Freundin gegenüber. Alyssa, die aussah, als würde sie gerade die Mathestunde in der Highschool schwänzen, wirkte äußerst selbstzufrieden. Kein Wunder. Sie hatte alles bekommen. Erst Rachels Ehemann und jetzt auch noch ihr Haus.
Rachel ärgerte sich. Sie fühlte sich betrogen.
„Du hättest mir sagen können, dass Alyssa die Käuferin ist“, erklärte sie gepresst. Auch die Maklerin hätte sie davon
Weitere Kostenlose Bücher