Julia Extra Band 361
es wieder vergessen. Und jetzt stand er vor ihr, immer noch genauso schön wie damals, auch wenn sich in seinem Gesicht eine gewisse Härte widerspiegelte. Doch Isobel fiel sofort wieder ein, wie schwärmerisch er über sein Heimatland gesprochen hatte, und lächelte ihn an.
„Ja, das ist es“, stimmte sie zu. „Es überrascht mich zu sehen, wie viele Bücher es hier über Ihr Land gibt.“
„Wirklich?“ Zwei tiefschwarze Augenbrauen hoben sich. „Nun, so überraschend ist das gar nicht. Schließlich soll der Spender in irgendeiner Form von seiner Spende profitieren. Man hat mir bei der Auswahl der Bücher freundlicherweise ein Mitspracherecht eingeräumt.“
Isobel blinzelte überrascht. „Dann hat die Schule Ihnen die neue Bibliothek zu verdanken?“
„Ja, sicher. Gefällt Ihnen dieses Buch?“
„Ich wollte eigentlich nur wissen, ob es dem Autor dieses Bildbandes gelingt, dieselbe Atmosphäre heraufzubeschwören wie …“ Verlegen unterbrach sie sich. Als ob ihn das interessierte.
Er schaute sie jedoch erwartungsvoll an.
„Wie was?“, hakte er nach.
Sie schluckte. „Wie Sie es damals beschrieben haben. Sie haben mir vor vielen Jahren so leidenschaftlich von Ihrer Heimat erzählt, von dem Sand, der wie Goldstaub schimmert, und von Flüssen, die glitzern wie flüssiges Silber. Aber daran erinnern Sie sich wahrscheinlich gar nicht mehr.“
Tariq schaute sie nachdenklich an, dann schüttelte er den Kopf.
„Tut mir leid, nein“, gestand er. „Aber vielleicht möchten Sie meine Erinnerung ja auffrischen?“
Und so kamen Sie dann richtig ins Gespräch. Eine unerwartete Begegnung zweier Menschen, die beide hinter den Mauern eines englischen Elite-Internats Außenseiter gewesen waren.
Tariq schien zufällig etwas zu brauchen, was Isobel ihm geben konnte. Er war damals nämlich gerade auf der Suche nach einem persönlichen Assistenten gewesen. Nach einem Menschen, dem er vertrauen konnte. Jemand, mit dem er ohne Vorbehalt reden konnte, und der sich nicht von seinem gesellschaftlichen Status blenden ließ.
Das Gehalt, das er ihr nannte, war so großzügig, dass es schlicht verrückt gewesen wäre, sein Angebot abzulehnen. Also nahm sie an – und merkte schnell, dass keine Ausbildung der Welt sie auf diese Tätigkeit bei ihm hätte vorbereiten können.
Er war ein guter und gerechter Chef, aber er war auch ein steinreicher, mächtiger Mann, der es gewohnt war, dass die ganze Welt nach seiner Pfeife tanzte, deshalb konnte er auch unfassbar unvernünftig sein.
Und er war sexy. So sexy, wie es ein Mann nur sein konnte. Das mussten sogar Isobels frauenbewegte Freundinnen zugeben, obwohl sie sonst eine ganze Menge an ihm auszusetzen hatten. Isobel allerdings weigerte sich standhaft, seine Attraktivität auch nur zur Kenntnis zu nehmen.
Diese Standhaftigkeit hatte sie größtenteils ihrer Mutter zu verdanken, weil Anna nicht müde geworden war, ihre Tochter vor dem grenzenlosen Egoismus der Männer zu warnen. Und Tariq war ein Musterbeispiel dafür. Sein Umgang mit Frauen war katastrophal. Nein, er stand definitiv nicht auf ihrer Männer-Wunschliste. Sein starker muskulöser Körper und seine edlen Gesichtszüge erfüllten sie nicht mit Verlangen, sondern mit instinktiver Skepsis. Und das war gut so, denn wenn sie ihr Herz an den Scheich verloren hätte – nun, sie hätte keine fünf Minuten bestehen können. Und ganz sicher keine fünf Jahre!
Isobel bog auf einen schmalen Weg ein und brachte den Wagen vor ihrem geliebten kleinen Cottage zum Stehen, wo bereits überall Krokusse ihre lila, weißen und gelben Köpfe durch das harte Erdreich schoben. Isobel liebte den Frühling mit seinen Neuanfängen und ungeahnten Möglichkeiten. Als sie die Autotür öffnete, drang Vogelgezwitscher hinein, aber Tariq, der immer noch schlief, hörte nichts.
Weil sie ihn noch nie schlafend gesehen hatte, war es Isobel, als schaute sie auf einen Fremden. Die weichen Schatten, die über sein Gesicht fielen, milderten die scharfen Kanten ab, und auch der harte Zug um seinen Mund hatte sich entspannt. Wieder sah sie diesen Anflug von Verletzlichkeit in seinem Gesicht, und auch diesmal versetzte ihr die Entdeckung einen leichten Stich.
Er schläft so ruhig, dachte sie. Erstaunlich ruhig für einen Menschen, der fast immer in Bewegung war. Der sich unablässig zu Höchstleistungen anspornte. Tariq zu wecken, um ihn mit der bescheidenen Wirklichkeit ihres zweiten Zuhauses zu konfrontieren, erschien ihr fast wie ein
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