Julia Extra Band 361
höchstens Finanzberichte und Firmenanalysen, Verträge oder irgendwelche wirtschaftsrelevanten Artikel, und selbst das meistens nur auf Reisen. Romane las er nie. Weil er normalerweise weder Zeit noch Lust hatte, sich in einer Fantasiewelt zu verlieren. Aber jetzt brauchte er dringend Ablenkung, damit er nicht ständig an Dinge dachte, an die er nicht denken sollte. Wie zum Beispiel, was für Unterwäsche Izzy wohl tragen mochte.
Am Ende entschied er sich für einen Thriller, dessen Handlung sich erfreulicherweise höchst rasant entwickelte. Er war so vertieft in die durchaus glaubwürdige Geschichte, dass er zusammenzuckte, als Izzy etwas sagte. Er schaute auf und sah sie leicht aufgelöst, mit geröteten Wangen vor sich stehen.
„Mhm?“, fragte er und bewunderte ihre weichen, einladenden Lippen.
„Abendbrot ist fertig.“
„Abendbrot?“
„Ein leichtes Abendessen. Das ist doch okay für Sie?“
Normalerweise pflegte er ein mehrgängiges Menü zu sich zu nehmen und nicht nur einen Klacks Reis. Doch wenig später stellte Tariq zu seinem Erstaunen fest, dass er richtig hungrig war, und dass das Risotto viel besser schmeckte als erwartet … richtig köstlich sogar. Nach dem Essen legte Izzy Holz im Kamin nach, dann nahmen sie sich beide ein Buch vor und lasen, bis es Schlafenszeit war.
Die Tage nach seinem Unfall wurden für Tariq unvergesslich. Er war in eine geschlossene Welt der Privilegien und Paläste hineingeboren, deshalb erschien ihm sein derzeitiges Landleben als das Bizarrste, was ihm jemals begegnet war.
Trotz frühen Zubettgehens schlief er morgens lange, was er unter normalen Umständen praktisch nie tat, nicht einmal nach Langstreckenflügen mit Zeitverschiebung. Nach dem Aufwachen nahm er ein ausgiebiges Bad, gab sich im langsam abkühlenden Wasser aufregenden Tagträumen hin und lauschte dem Vogelgezwitscher, das sogar durchs geschlossene Fenster drang. Und wenn er dann endlich nach unten kam, werkelte seine Assistentin bereits in der Küche herum oder wollte von ihm wissen, ob er zum Frühstück wieder zwei Freilandeier essen wollte, die sie von einem Bauernhof in der Nähe holte.
Während er selbst mit wachsendem Vergnügen auf der faulen Haut lag – er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zum letzten Mal so ausgeschlafen und entspannt gefühlt hatte – war Izzy ständig in Bewegung. Wenn sie nicht putzte oder kochte, beantwortete sie die E-Mails, die das Büro an sie weiterleitete, wobei sie versuchte, ihn so wenig wie möglich mit Fragen zu belästigen.
„Warum ruhen Sie sich nicht auch mal ein bisschen aus?“, fragte er eines Morgens, als er von seinem neuesten Thriller aufschaute und sah, dass sie, eingehüllt in eine Staubwolke, mit Feuereifer die Asche aus dem Kamin kehrte.
Isobel schob sich mit dem Ellbogen eine Haarsträhne aus den Augen. Weil ich mich dringend ablenken muss, um nicht ständig daran denken zu müssen, wie toll du aussiehst – darum.
Mit irgendwas musste sie sich schließlich den lieben langen Tag beschäftigen, oder sollte sie nur ständig beobachten, wie er sich mit seinem athletischen Körper auf dem Sofa räkelte? Sollte sie zuschauen, wie er ein muskulöses Bein über das andere schlug, und auf die mysteriöse Wölbung in seiner Jeans starren? Dorthin, wo sie natürlich unter gar keinen Umständen hinschauen durfte, wie sie ganz genau wusste. Sie schämte sich für ihre eigenwilligen Gedanken und fragte sich, ob Tariq sie womöglich mit einem Zauber belegt hatte. Plötzlich konnte sie das klammernde Verhalten einiger seiner Ex-Geliebten ziemlich gut nachvollziehen …
Und ihre Nächte waren kaum besser. Wie auch, wo sie ganz genau wusste, dass Tariq nur durch eine Wand von ihr getrennt im Bett lag? Vor zwei Tagen war er ihr, nur mit einem Handtuch um die Hüften, über den Weg gelaufen, als er gerade aus dem Bad gekommen war. Winzige Wassertropfen hafteten an seiner olivfarbenen Brust und Isobels Herz klopfte wie wild beim Anblick seines perfekten Körpers. Kurz hatte sie daran gedacht, ihm die Benutzung eines größeren Handtuchs vorzuschlagen … Aber dann hatte sie doch nur ein verlegenes „Guten Morgen!“ zustande gebracht, und war mit verräterisch roten Wangen schnell an ihm vorbei gehuscht.
Praktisch über Nacht hatte sich die Beziehung zu ihrem Chef von Grund auf gewandelt. An die Stelle wohlwollender Neutralität waren neue und beunruhigende Empfindungen getreten. Jedes Mal wenn sie ihn anschaute, schmolz sie fast dahin vor …
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