Julia Extra Band 363
halbes Kind gewesen war. Warum war sie allein geblieben?
„Weder noch.“ Sie führte ihre Antwort nicht weiter aus. Es war, als wäre eine Tür zugefallen. Ihr Gesichtsausdruck blieb zwar freundlich, wirkte aber entschlossener als zuvor, fast herausfordernd. Was für eine faszinierende Frau. Zu schade, dass er morgen schon wieder abreisen würde.
Trotzdem ließ er nicht locker. „Sind Ihre Eltern auch hier?“
„Meine Eltern wohnen nicht mehr in Lyrebird Lake.“ Sie reckte das Kinn. „Haben Sie Kinder?“, wollte sie im Gegenzug wissen.
Jedenfalls keine leiblichen. Und er würde auch niemals welche haben. „Nein.“
Sie zog eine Augenbraue hoch. Dieses Gesprächsthema war offensichtlich erschöpft.
Vom Gartentor winkte ihnen ein dunkelhaariges Mädchen zu, das ungefähr in Graces Alter war. Emma nickte ihrer Tochter kurz zu. „Da ist Dawn. Geh ruhig zu ihr.“
Sie wandte sich wieder Gianni zu. „Dawns Vater, Andy, ist der ärztliche Direktor unserer Klinik. Seine Frau, Montana, hat die Geburtsstation mit aufgebaut. Mittlerweile sind wir sieben Hebammen und haben ein wunderbares Team. Die Leute kommen von weit her, um ihre Kinder bei uns zur Welt zu bringen.“
Emma bemühte sich, das Gespräch in Gang zu halten. Das war sonst eigentlich nicht ihre Art. Wahrscheinlich interessierte ihn das alles überhaupt nicht. Aus den Augenwinkeln sah sie ihrer Tochter hinterher, die über das Gras zu ihrer Freundin rannte. Sie würde versuchen, diesen verschlossenen, aber unverschämt gut aussehenden Italiener aus der Reserve zu locken. Angus hatte ab und an von ihm gesprochen, sodass in Emmas Kopf ein Bild von Gianni Bonmarito entstanden war, ohne dass sie ihm je begegnet war. Der Ausdruck von Melancholie und Verzweiflung, den sie in seinen Augen zu lesen glaubte, bestätigte dieses Bild.
Jedenfalls hatte er etwas an sich, das sie zutiefst berührte. Irgendetwas schien ihn zu quälen. Am liebsten würde sie ihn in die Arme nehmen und ihm beruhigend über den Kopf streicheln, sein Gesicht mit zarten Küssen bedecken und ihn trösten wie ein kleines Kind.
Emma spürte eine Hitze in sich aufsteigen, die nichts mit dem warmen Wetter zu tun hatte. Sie sollte Gianni besser nicht mehr anschauen. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Wohnhaus. „Ich werde versuchen, Louisa aus der Küche zu locken. Schließlich ist sie Angus’ Stiefmutter. Sie sollte hier draußen bei uns sein.“ Und ich brauche dringend etwas Abstand von diesem Mann, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Ich komme mit.“ Schon war er neben ihr, und obwohl der Verstand ihr sagte, dass sie seine Begleitung besser ablehnen sollte, verspürte sie in seiner Gegenwart ein Kribbeln, als wäre ein ganzer Schwarm von Mücken auf ihr gelandet. Es war ein ungewohntes Gefühl, und sie wusste nicht so recht, wie sie damit umgehen sollte.
Während sie zum Haus gingen, bemühte sie sich um einen leichten Plauderton. „Sind Sie eigentlich ein guter Koch?“ Bei der Vorstellung musste sie unwillkürlich grinsen. Er wirkte nicht gerade wie ein Mann, der viel Zeit in der Küche verbrachte.
„Ja, ich koche sehr gerne. Zu Hause in Italien hatten wir eine wunderbare Haushälterin, die mir einiges beigebracht hat. Essen hat für mich eine äußerst sinnliche Komponente.“ Gianni zwinkerte ihr verschwörerisch zu, und die Zweideutigkeit seiner Worte ließ sie erröten. Sie sollte sich besser nicht allein mit ihm in einer Küche aufhalten. Hastig kehrte sie zu dem unverfänglichen Thema von vorhin zurück. „Eben habe ich schon versucht, Louisa zu holen, aber sie wollte lieber allein sein und sich um das Essen kümmern.“
Er antwortete nicht und zeigte auch seinerseits kein Bemühen, das Gespräch in Gang zu halten. Es lag eine knisternde Spannung in der Luft, und ihre Schritte glichen sich wie von selbst einander an. Als sie endlich die breite Holztreppe zur Veranda erreichten, war Emma fix und fertig. Niemals zuvor war ihr ein Mann wie dieser begegnet.
Höflich ließ Gianni ihr den Vortritt. Er wusste, dass er etwas zu ihr sagen sollte, aber er konnte an nichts anderes denken als an ihre geschmeidigen Bewegungen und den sanften Schwung ihrer Hüften. Er spürte die Wärme ihres Körpers, als sie an ihm vorbeiging, ohne ihn zu berühren. Ein wohliger Schauer durchlief ihn. Ihr Anblick war eine einzige Verführung. Es ist nur die Hitze, die meine Gedanken verwirrt.
Die Campbells wohnten in einem großen Landhaus mit mehreren Giebeln und einer in
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