Julia Extra Band 363
es ist wichtig, etwas über die Verstorbenen zu erfahren. Meine Großmutter hat uns viel von unserer Mutter erzählt – über ihre Zeit als junges Mädchen und darüber, wie sie unseren Vater kennengelernt hat. Das können Sie auch für Ihre Zwillinge tun. Erzählen Sie ihnen, wie Sie aufgewachsen sind. Juan und Pablo haben keine Erinnerung an ihre Mutter. Deshalb ist es wichtig, dass die beiden sie durch Sie und ihre Großeltern mütterlicherseits kennenlernen.“
„Melissas Eltern leben in Florida. Sie sehen die Jungen so gut wie nie.“ Luis schwieg kurz. „Sie waren gegen unsere Heirat.“
„Wieso denn das?“, fragte Stacey verblüfft.
„Ich war damals noch völlig mittellos. Melissa und ich arbeiteten hart an dem Projekt. Leider hat sie die Früchte ihrer Arbeit nicht mehr genießen können.“
„Aber es muss Sie beide glücklich gemacht haben, gemeinsam an Ihrer Zukunft zu arbeiten. Und es muss aufregend für Ihre Frau gewesen sein, Zwillinge zu erwarten.“
„Das war es, für uns beide. Wir hatten es inzwischen auch so weit gebracht, dass Melissa mit den Kindern hätte zu Hause bleiben können.“
Stacey wollte nicht länger mit ihm über seine verstorbene Frau sprechen. Er musste sie sehr geliebt haben, dass er sechs Jahre nach ihrem Tod immer noch um sie trauerte.
„Ich gehe jetzt besser schlafen“, sagte sie. „Morgen haben wir eine Menge vor.“ An der Tür zu ihrem Zimmer drehte sie sich noch einmal um. „Soll ich morgen Abend wirklich mitkommen, wenn Sie zu dem Freund Ihrer Großmutter fahren und dort essen? Ich fühle mich etwas fehl am Platz, denn immerhin haben Sie mich engagiert, um auf Ihre Kinder aufzupassen und nicht, um mich mit Ihrer Familie zu amüsieren.“
„Solange Ihnen klar ist, dass meine Großmutter ihre Einladung aus reiner Freundschaft ausgesprochen hat und nicht, um uns miteinander zu verkuppeln, was sowieso aussichtslos wäre, können Sie diese gern annehmen.“
Stacey schluckte. Das war deutlich gewesen! Sie sollte ihre Träume endgültig vergessen. Luis Aldivista war an ihr absolut nicht interessiert.
„Das wäre mir ohnehin nie in den Sinn gekommen“, behauptete sie, obwohl sie mindestens ein Dutzend Mal diesen Gedanken gehabt hatte. „Ich werde Distanz wahren, verlassen Sie sich darauf.“
„Gute Nacht, Stacey. Vielleicht hatte ich doch einen Glückstag, als ich bei Vacation Nannies anrief.“
Luis sah ihr nach, wie sie in ihr Zimmer zurückging. Die Schiebetüren ließ sie der frischen Luft wegen offen.
Sie war so anders als die Frauen, die er kannte. Und es hatte ihn maßlos überrascht, wie schnell die Jungen sich an sie gewöhnt hatten. Besonders bei Pablo hatte er das nicht erwartet. In den zwei Tagen, die Stacey bei ihnen war, hatte sich zudem das Benehmen der Zwillinge deutlich gebessert. Was war ihr Geheimnis?
Luis wandte sich um und trat an die Balustrade. Im Moment wurde das Meer nur von den Sternen schwach erleuchtet, doch bald würde der Mond aufgehen und seinen silbernen Schein über die Landschaft werfen.
Tief atmete er die salzige Meeresluft ein, die sich mit dem Blütenduft des Gartens vermischte. Erinnerungen an seine Kindheit wurden wieder wach und an seine Teenagerzeit, als er sich nachts heimlich aus dem Haus geschlichen hatte, um verbotenerweise im Meer zu schwimmen oder das große Festival zu besuchen.
Damals war er noch frei und unbeschwert gewesen. Dann hatte der Ernst des Lebens begonnen. Seine Liebe zu Melissa, sein gemeinsames Leben mit ihr, die Gründung seiner Firma, Melissas Tod … Manchmal sehnte er sich nach den alten Zeiten zurück. Zeiten, in denen die schlimmste Situation für ihn war, dass seine Großeltern die Knallfrösche fanden, die er versteckt hatte, um sie auf dem Festival loszulassen.
Melissa hatte es hier nicht gefallen. Nicht nur der Sprache wegen. Ihr hatte auch das Essen nicht geschmeckt, und die ständige Anwesenheit irgendwelcher Verwandten hatte sie ziemlich gestört.
Nach ihrem Tod war er nicht mehr in der Lage gewesen, seinen früheren Optimismus wiederzufinden. Oft fühlte er sich erdrückt von der Verantwortung, die auf ihm lastete – der Verantwortung für seine Söhne und für die Firma, von der das Wohl seiner Mitarbeiter abhing.
Stacey war das Gegenteil von Melissa. Heute Abend beim Essen hatte sie sich im Kreis seiner Familie sichtlich wohlgefühlt. Sie hatte mit den anderen gelacht und geplaudert und immer wieder interessierte Fragen gestellt.
Seine Großmutter schien von ihr
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