Julia Extra Band 364 (German Edition)

ihre Schwester in den Flur und schloss die Tür hinter ihr. Sie hatte Alicia noch nie so aufgelöst gesehen. Normalerweise war sie die Souveränität in Person.
    Kaum hatte Alicia sich auf der Couch niedergelassen, fing sie an zu schluchzen.
    „Meine Güte, Alicia, was ist denn los? Ist Jeffrey etwas zugestoßen?“
    Sydney setzte sich neben ihre Schwester auf die Couch und legte besorgt den Arm um sie. Erst jetzt sah sie Alicias Auge. Es war rot und geschwollen, als hätte sie jemand geschlagen.
    Sydney spürte Panik in sich aufsteigen.
    „Verdammt, bist du überfallen worden? Sollen wir die Polizei anrufen? Wo ist Jeffrey?“
    „Es war Jeffrey“, flüsterte Alicia nach einer Weile. „Er hat mich geschlagen.“
    Sydneys Magen krampfte sich zusammen.
    „Er hat dich geschlagen? Aber er liebt dich doch so sehr!“
    Alicia sah sie verbittert an.
    „Nein, Syd. Jeffrey liebt nur sich selbst.“
    Fassungslos sah Sydney sie an.
    „Komm“, sagte sie dann entschlossen. „Wir rufen die Polizei. Wir werden ihn nicht einfach davonkommen lassen.“
    „Ich kann nicht“, schluchzte Alicia. „Alle werden denken, dass ich furchtbar dumm bin. Und Mum und Dad werden so enttäuscht von mir sein …“
    Sydney drückte Alicia an sich.
    „Nein, Alicia, das ist Unsinn. Alle wissen, wie klug du bist.“
    Alicia lachte hysterisch.
    „Sydney, kluge Frauen bleiben nicht bei Männern, die sie schlagen.“
    Bei ihren Worten gefror Sydney das Blut in den Adern.
    „Das war nicht das erste Mal?“
    Alicia schüttelte den Kopf.
    „Komm, erzähl mir alles.“
    Während der nächsten Stunde berichtete Alicia Sydney alles über ihre Beziehung mit Jeffrey. Sydney hatte sich so geirrt. Die ganze Zeit über hatte sie geglaubt, ihre Schwester habe die perfekte Beziehung, wolle nur noch Zeit mit Jeffrey verbringen, weil sie ihn so liebte und er sie. Tatsächlich hatte Jeffrey sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Er rastete aus, wenn Alicia mal keine Zeit für ihn hatte. Er wollte immer wissen, wo sie war, war eifersüchtig auf jeden, mit dem sie redete.
    Und dann hatte er angefangen, sie zu schlagen. Sobald seine Wut verraucht war, hatte er Alicia geschworen, es würde nie wieder passieren, und ihr versichert, wie sehr er sie liebte.
    Jeffrey hatte die Worte gesagt, doch er meinte sie nicht so.
    Taten zählen mehr als Worte, findest du nicht? Maliks Ausspruch fiel ihr wieder ein. Und Sydney wurde einen Moment lang warm ums Herz. War sie zu dumm gewesen, die Wahrheit zu erkennen? Warum hatte er sie denn überhaupt nach Jahfar kommen lassen, wenn es doch gar nicht notwendig gewesen war?
    Hatte er versucht, ihre Beziehung wiederzubeleben? War er deswegen mit ihr zu der Oase gefahren?
    War er denn so unsicher, dass er ihr seine wahren Beweggründe nicht einfach sagen konnte? Oder hatte er nur nie genug Liebe von seiner Mutter bekommen? War das der Grund, warum er seine Gefühle Sydney gegenüber nicht zeigen konnte?
    Sydney fiel es wie Schuppen von den Augen. Die ganze Zeit hatte sich alles nur um sie gedreht. Sie hatte gedacht, sie sei nicht gut genug gewesen. Und dass er sie nicht liebte.
    Wie ein Kind hatte sie sich benommen. Sie hatte seine Berührungen, seine Art, ihr seine Aufmerksamkeit zu schenken, nicht wertgeschätzt. Und zu guter Letzt hatte er seine Fehler eingesehen und ihr die Freiheit geschenkt, um die sie ihn während ihres ganzen Aufenthalts in Jahfar gebeten hatte.
    Statt sich hier in ihrem Apartment in Los Angeles einzuigeln und ihre Wunden zu lecken, hätte sie zum Telefon greifen und ihn anrufen sollen.
    Sie liebte ihn, verdammt! Und man verstieß Menschen, die man liebte, nicht einfach so. Auch wenn man glaubte, dass sie einen nicht mehr wollten.
    Etwas später, als ihre Schwester im Gästezimmer schlief, wählte Sydney Maliks Nummer. Ihre Finger zitterten.
    Bitte geh ran.
    Aber er nahm nicht ab. Es klingelte mehrere Male, bis sie den Anrufbeantworter hörte und auflegte.
    Doch sie würde nicht aufgeben. Irgendwann würde sie ihn schon erreichen. Malik hatte recht: Taten zählten mehr als Worte.
    Während der nächsten Tage probierte Sydney es immer wieder. Sie erreichte Malik nicht. Panikgefühle machten sich in ihr breit. Hatte er endgültig mit ihr abgeschlossen?
    Ihrer Schwester ging es mittlerweile ein wenig besser. Sie hatten Jeffrey bei der Polizei angezeigt, und er durfte sich Alicia nicht mehr nähern.
    Im Büro ging es chaotisch zu, da Alicia einige Tage gefehlt hatte und ein weiterer Mitarbeiter ausgefallen war.