Julia Extra Band 367
Wut beinahe herausgeplatzt wäre, er habe die Mutter seiner Kinder vor sich. Das wäre ein nicht wieder gut zu machender Fehler gewesen: Niemals würde er die Rolle des Vaters akzeptieren und Verantwortung für die Kinder übernehmen. Nein, sie hatte ein Anrecht auf ihren Stolz, denn die Wahrheit würde ihr keine Erleichterung bringen.
Außerdem hatte Christo ihr einmal gestanden, dass die Freundin eines seiner Bekannten eine Abtreibung hatte vornehmen lassen. „Das war das Ende ihrer Beziehung“, hatte er gesagt. „Mit einer solchen Stresssituation werden die wenigsten Paare fertig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich einmal bereit für Kinder sein werde, ich reise lieber ohne Ballast.“
Damals hatte sie die unverhohlene Warnung sofort verstanden: Mach so etwas ja nicht mit mir! Tatsächlich war es das einzige Mal gewesen, dass er ihr etwas über seine Freunde anvertraut hatte. Danach kannte sie seine Meinung zu Kindern und wusste, was er in einer ähnlichen Situation von ihr erwartete. Als sie dann tatsächlich von ihm schwanger geworden war und ihn in ihrer Verzweiflung sogar kontaktiert hatte, um ihn um finanzielle Unterstützung zu bitten, war sie sich nur allzu bewusst gewesen, wie er reagieren würde. Die Neuigkeit würde einen Tobsuchtsanfall bei ihm auslösen. Christo war viel zu arrogant, um eine solche Überraschung hinzunehmen. Dass eine Frau ohne seine Einwilligung seine Kinder zur Welt gebracht hatte, würde ihm, gelinde gesagt, nicht gefallen. Nein, es gab auch heute absolut keinen Grund, Christo von der Existenz seiner Kinder zu erzählen.
Wie aber sollte sie mit der Drohung umgehen, er wolle Sam den Ordner mit den Beweisen zukommen lassen? Christo war eine Bedrohung für die Sicherheit ihrer Familie. Alles, was sie sich hart erarbeitet hatte, konnte über Nacht dahin sein. Wenn sie ihren Job verlor, würden auch ihre Mutter und die Kinder dafür bezahlen. Sofern sie ihren Stolz vergaß und sich auf Christos grausames Spiel einließ, würde der Ordner nie zu Sam gelangen und ihr blieb dann mindestens noch ein Jahr, um sich in Ruhe nach einem neuen Job umzusehen. Schließlich ging es doch nur um ein Wochenende, mehr nicht. Wieder sah sie das Gesicht ihrer Mutter, als diese von dem möglichen Verkauf der Hotels erfahren hatte. Das Leben hatte Deidre gelehrt, sich für jede unliebsame Überraschung zu wappnen. Sie verdiente es nicht, in den Sturm verwickelt zu werden, der an Erins Horizont aufzog. Auch würde Erin alles tun, um die Zwillinge vor der ungewissen Zukunft zu bewahren, mit der sie in ihrer eigenen Kindheit tagtäglich gelebt hatte.
Leider musste Erin sich eingestehen, dass sie ganz allein schuld an der Misere war. Hatte sie nicht die Warnungen ihrer Freunde in den Wind geschlagen, sich ja nicht mit Christo einzulassen? Sein Ruf als unverbesserlicher Frauenheld eilte ihm voraus. Und warum hatte sie sich in eine noch größere Abhängigkeit begeben und den Job in seiner Firma angenommen? Ihre Freunde hatten ihr besorgt davon abgeraten. Auch als Christos Desinteresse immer offensichtlicher wurde, hatte sie nicht die Notbremse gezogen. Zu ihrem letzten Geburtstag war er noch nicht einmal rechtzeitig von einer Geschäftsreise zurückgekehrt. Nein, sie hatte das Unglück selbst heraufbeschworen und jetzt stand es vor ihrer Tür und würde es sich ganz gewiss nicht nehmen lassen, mit harten Bandagen zu kämpfen.
Christo stand am Fenster des Ferienhauses seiner Pflegeeltern und betrachtete den glutroten Sonnenuntergang über der kleinen Mittelmeerinsel Thesos, die er mit einundzwanzig Jahren von seinen leiblichen Eltern geerbt hatte. Das Haus war recht bescheiden, aber sehr gemütlich, ganz anders als das Leben, das er sonst kannte.
Vasos und Appollonia Denes hatten immer peinlich darauf geachtet, sich ja nicht an dem Geld des wohlhabenden kleinen Jungen, den sie an Kindes statt aufgenommen hatten, zu bereichern. Die vorangegangenen Tage hatte Christo mit Vasos in dessen Büro verbracht, um Pläne zu schmieden, wie die kleine Firma seines Vaters vor dem Bankrott gerettet werden konnte. Christo hatte seinen Eltern ein zinsloses Darlehen angeboten, doch der sture Vasos wollte sein Geld partout nicht annehmen. Dennoch stand sein Vater so unter Stress, dass er das gemeinsame Abendessen verlassen musste, um sich hinzulegen. Auch die Mutter schien sich noch nicht von dem Nervenzusammenbruch erholt zu haben, den sie nach dem Eheaus ihres Ziehsohns erlitten hatte.
Wenn sie geahnt hätten,
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