Julia Extra Band 367
sie sich selbst nicht mehr kannte. Sie war nicht die erwachsene, beherrschte Frau, für die sie sich gehalten hatte, und diese Erkenntnis war schmerzhaft.
„Stört es dich gar nicht, dass du mich erpressen musstest, um mich ins Bett zu ziehen?“, warf sie ihm unvermittelt an den Kopf.
„Vielleicht war es am Anfang so, aber dann hat es sich doch anders entwickelt“, antwortete er seelenruhig und schaute sie an. Das silberblonde Haar umrahmte ihre zarten Schultern und brachte ihr makelloses Gesicht zur Geltung. Als er sie das erste Mal nass und zerzaust neben dem Swimmingpool hatte stehen sehen, war es um ihn geschehen gewesen. Und das Feuer war sofort erneut entfacht, als er sie im Büro von Sam Morton wiedergetroffen hatte. Er war nicht gerade begeistert, dass sie seine Leidenschaft weckte und er nicht von ihr lassen konnte. Sie macht süchtig, dachte er grimmig.
Erin schaute in goldene Augen, in denen kein Fünkchen Reue lag, und sie biss die Zähne zusammen, um ihr Verhalten ja nicht vor ihm zu rechtfertigen. Was hätte sie auch sagen sollen? „Ich verstehe nicht, warum du mich hergebracht hast“, erklärte sie. „Bei unserer Trennung hast du mir doch unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass dich unsere Beziehung gelangweilt hat.“
„Ich habe nie gesagt, dass ich mich gelangweilt habe“, sagte er ernst.
Wieder stieg das unerträgliche Gefühl der Hilflosigkeit in ihr hoch. Sie fühlte sich in die Zeit nach der Trennung zurückversetzt, als sie sich monatelang mit Gedanken geplagt hatte, was sie wohl falsch gemacht hatte, dass er seine Freiheit hatte wiederhaben wollen. „Warum hast du mich dann fallengelassen?“
„Ich glaube nicht, dass du die Antwort wirklich wissen willst.“ Sein markantes Gesicht blickte teilnahmslos.
Mit einer ruckartigen Bewegung spießte Erin ein Stück Tomate auf die Gabel. „Seitdem ist viel Zeit vergangen“, sagte sie trocken.
„Genau“, erwiderte er höhnisch.
„Aber ich möchte immer noch wissen, warum“, bohrte sie weiter.
Christo stellte das Weinglas ab und bedachte sie mit einem Blick, der einen eisigen Schauer über ihren Rücken sandte. „Du hast mich betrogen …“
Verwundert sah sie ihn an. „Nein, das habe ich nicht.“
„Am Morgen nach deiner Geburtstagsfeier habe ich den Kerl in deinem Hotelbett erwischt“, sagte er unumwunden. „Du hast mich betrogen.“
„Wen hast du in meinem Hotelzimmer erwischt?“, fragte sie irritiert.
Christo zuckte die Schultern und warf ihr einen höhnischen Blick zu. „Keine Ahnung, wer der Typ war. Ich bin in dein Zimmer gekommen, um dich zu überraschen. Stattdessen habe ich eine böse Überraschung erlebt.“
„Aber du kannst mich nicht gesehen haben. Ich war nämlich gar nicht dort“, erwiderte sie perplex.
Christo schaute sie verächtlich an. „Ich habe den Mann, die überall verteilten Kleidungsstücke und die leeren Weingläser gesehen. Außerdem hörte ich das Wasser unter der Dusche laufen. Das hat mir genügt.“
Für einen Moment blieb Erin vor Entsetzen die Luft weg. Dann sprang sie mit einem Satz vom Stuhl und funkelte ihn böse an. „Das unter der Dusche war ich nicht. Ich war nämlich in dieser Nacht überhaupt nicht in London.“
Christo verzog keine Miene. „Es war dein Zimmer, er lag in deinem Bett …“
Ungeheure Wut stieg in ihr hoch. „Und das sagst du mir jetzt, fast drei Jahre später ? Warum hast du es damals nicht zur Sprache gebracht?“
„Ich hielt es für überflüssig, dich zur Rede zu stellen. Schließlich hatte ich gesehen, was ich sehen musste“, erwiderte Christo und lachte höhnisch.
6. KAPITEL
Erin wäre Christo in diesem Moment am liebsten an die Gurgel gegangen. Im Bruchteil von Sekunden lief noch einmal alles Leid, das sie nach der Trennung durchlitten hatte, vor ihrem geistigen Auge ab. Jetzt erst begriff sie, was der wahre Trennungsgrund gewesen war. Und seine leichtfertige Verkennung der damaligen Situation trat eine Welle der Entrüstung in ihrem Inneren los. „Du willst also ernsthaft behaupten, du hättest damals alles gesehen, was du hattest sehen müssen?“, fauchte sie ihn an.
Christo reagierte verächtlich. „Hätte ich noch mehr Beweise gebraucht?“
„Ja, und zwar stichhaltige!“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. „Ich war in jener Nacht überhaupt nicht in London. Ich bekam einen Anruf aus dem Krankenhaus in Oxford, dass meine Mutter mit Verdacht auf einen Herzinfarkt in die Notaufnahme gebracht worden war. Tom und
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