Julia Extra Band 367
sich Zorn in ihr. Ciro war an all dem schuld! Wenn er das Gutshaus nicht gekauft hätte, wäre das alles nicht passiert.
„Und mein Bruder war am Wochenende hier“, fügte sie unvermittelt hinzu.
„Jonny?“
Es überraschte sie, dass Ciro sich an den Namen erinnerte. Mit einem Mal war dieser kleine Aufmerksamkeitsbeweis mehr, als sie ertragen konnte. Die Tränen, die sie so lange zurückgehalten hatte, rannen ihr unaufhaltsam die Wangen hinunter.
Ciro sah sie erschrocken an. „Lily?“
„Nein! Schon gut!“ Stolz wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. „Es … es ist nicht so schlimm. Wir werden eine Lösung finden.“
„Eine Lösung wofür?“
„Nicht so wichtig.“
„Ganz im Gegenteil.“ Ciro packte sie bei den Schultern, schob sie zum Sofa und zwang sie mit sanftem Nachdruck, sich zu setzen. Dann verschwand er in der Küche.
„Was hast du vor?“, rief Lily ihm hinterher.
„Ich mache dir erst einmal einen Tee. Macht ihr Engländer das nicht immer so, wenn es Probleme gibt?“
Diese Feststellung, noch dazu mit neapolitanischem Akzent gesprochen, hätte ihr unter anderen Umständen sicher ein Lächeln entlockt. Aber ihr war noch nie so wenig zum Lächeln zumute gewesen wie in diesem Moment. Deshalb putzte sie sich nur schweigend die Nase und blickte mit geröteten Augen auf, als Ciro einen Augenblick später mit dem Teetablett zurückkam.
Er stellte es auf den Tisch, bevor er Lily streng ansah. „Also, was ist mit deinem Bruder, das dich zum Weinen gebracht hat?“
Lily sah zu, wie er ihr eine Tasse mit erbärmlich dünnem Tee einschenkte, und verspürte plötzlich den unwiderstehlichen Wunsch, sich Ciro anzuvertrauen. „Man hat Jonny einen Platz in der Kunstakademie angeboten.“
„Das ist doch toll, oder?“ Ciro sah sie fragend an. „Ich meine, als Künstler hat man vielleicht nicht den sichersten Arbeitsplatz, aber wenn er talentiert ist …“
„Ja, er ist sehr talentiert“, fiel Lily ihm ins Wort. „Und nein, es ist nicht toll.“
„Warum nicht?“
Sie sah ihn an. War er wirklich so schwer von Begriff, dass sie die demütigende Wahrheit Wort für Wort aussprechen musste? Vermutlich war es nicht besonders fein, über finanzielle Schwierigkeiten zu sprechen … schon gar nicht gegenüber einem Mann, der derartige Probleme sicherlich gar nicht kannte. Aber Lily war sowieso schon zu weit gegangen, um noch einen Rückzieher zu machen, und musste es jetzt irgendjemand erzählen. „Weil es Geld kostet, in London zu studieren“, sagte sie deshalb schlicht. „Geld, das wir nicht haben.“
„Du hast nicht noch irgendetwas auf der hohen Kante? Ein Sparbuch, ein paar Aktien oder Ähnliches?“
„Nein, es war ernst gemeint, als ich sagte, meine Stiefmutter habe alles geerbt.“
Ciro schwieg, während er insgeheim damit haderte, so blind gewesen zu sein. Vielleicht hatten Lilys Reize ihn zu sehr abgelenkt. Oder vielleicht interessierte er sich einfach zu wenig für das Leben anderer Menschen. Ihm war natürlich klar, dass ihre Stiefmutter einen anderen Käufer gefunden hätte, wenn er das Gutshaus nicht gekauft hätte. Aber er begriff auch, dass Lily wahrscheinlich ihn in gewisser Weise dafür verantwortlich machte, dass sich die Träume ihres Bruders in Luft auflösten.
Was sollte er also tun? Da Geld für ihn wirklich keine Rolle spielte, konnte er ihr da nicht einfach seine Unterstützung in dieser Sache anbieten, obwohl sie bislang seine Hilfe strikt abgelehnt hatte? Nicht einmal beim Umzug hatte sie sich von ihm helfen lassen, sondern ihn lieber ganz allein bewerkstelligt und dabei waghalsig einen gemieteten Transporter gesteuert, wie er aus zuverlässiger Quelle wusste.
Keine Frage, sie war eigensinnig … und stolz. Unwillkürlich verglich er sie mit den Frauen, die er bislang kannte, vor allem mit Eugenia und ihrer unaufhörlichen Gier nach materiellen Dingen. Ein Blick in dieses blasse Gesicht vor ihm verriet, dass Lily Scott ganz anders war.
Wie sie da zusammengesunken auf dem Sofa saß, wirkte sie so jung und verletzlich, dass Ciro es wie einen Wink des Schicksals empfand. Ohne zu überlegen, setzte er sich zu ihr, nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. „Komm her.“
„Bitte nicht“, flüsterte sie, doch es klang selbst in ihren eigenen Ohren halbherzig, denn es war wundervoll, ihm wieder so nahe zu sein. Nur, diesmal hatte sie nicht die Sehnsucht nach Sex in seine Arme gebracht, sondern etwas, das fast genauso mächtig war … die Sehnsucht nach
Weitere Kostenlose Bücher