Julia Extra Band 367
Aber wie hätte sie der Freundin die komplizierten Ereignisse erklären sollen, die zu ihrer Rückkehr geführt hatten, wo sie es selbst noch nicht ganz begriffen hatte? Sie dachte viel darüber nach. Längst gab sie Ciro nicht mehr die alleinige Schuld an dem, was geschehen war. Sie hatten beide eine gute, dauerhafte Beziehung gewollt und waren aus Gründen gescheitert, die in ihren ganz persönlichen Biografien lagen. Deshalb wollte sie auch nicht darüber reden, geschweige denn Ciro schlecht machen. Wie auch, wenn sie ihn doch immer noch liebte?
Ausgerechnet dieser Sommer war einer der schönsten, den England seit langem gesehen hatte. Lily ertappte sich dabei, dass sie sich das triste Regenwetter herbeiwünschte, weil es ihrer Stimmung mehr entsprochen hätte. Entschlossen, sich von ihren trüben Gedanken abzulenken, stellte sie einen Eimer mit warmem Wasser auf die Fensterbank und fuhr sich mit der Hand durch das kurz geschorene Haar. Es bereitete ihr inzwischen Vergnügen, wenn Leute, die sie von früher mit ihrem langen Haar kannten, bei ihrem Anblick buchstäblich zweimal hinsahen. Direkt nach ihrer Rückkehr nach England war sie zum Friseur gegangen, der aus den schief und krumm abgeschnittenen blonden Locken eine schicke Kurzhaarfrisur zauberte. Inzwischen hatte Lily sich daran gewöhnt und es gefiel ihr ganz gut. Natürlich sah sie anders aus … aber sie hatte sich ja auch verändert.
Lily putzte die Fenster von innen, bevor sie sie weit öffnete und von außen polierte. Eine Weile beobachtete sie dann die vorbeifahrenden Autos und lauschte auf das Lachen der Stammgäste vor dem Pub. Würde sie sich je wieder dazugehörig fühlen, am richtigen Leben teilhaben? Oder würde sie ihrer verlorenen Liebe für immer nachtrauern?
Gerade wollte sie sich abwenden, um sich einen Tee aufzubrühen, als ihr eine Person auffiel, die über die Dorfwiese geradewegs auf das Haus zukam. Lily blinzelte. Die große athletische Gestalt und das tiefschwarze Haar waren unverkennbar.
Ciro!
Benommen hielt sie sich an der Fensterbank fest. Es tat so weh, ihn zu sehen, weil es sie an all das erinnerte, was hätte sein können.
Genau unter ihrem Fenster blieb er stehen und blickte hinauf. Sie sahen sich lange an. Lily konnte gar nicht genug von seinem Anblick bekommen, so aufregend männlich und sexy sah er aus. Aber sein Gesichtsausdruck war grimmig entschlossen.
Mit klopfendem Herzen beugte sie sich vor. „Warum bist du gekommen?“
„Ich muss mit dir sprechen.“
War nicht alles gesagt? Arbeiteten seine teuren Anwälte nicht gerade in diesem Moment den Scheidungsvertrag aus? „Was willst du?“
Ciro betrachtete sie forschend. Ihre fast grobe Frage stand in krassem Gegensatz zu ihrer zerbrechlichen Erscheinung. Die neue Kurzhaarfrisur mit den fedrigen Ponyfransen ließ ihr Gesicht elfenhaft zart erscheinen. Ciro zuckte zusammen bei dem Gedanken, dass er sie durch seine Grausamkeit dazu gebracht hatte, sich ihr wundervolles blondes Haar abzuschneiden. Er hatte genau geplant, was er sagen wollte, doch jetzt fiel ihm nichts mehr davon ein … außer vielleicht das Einzige, was zählte. „Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass es mir leid tut.“
Im ersten Moment glaubte sie, sich verhört zu haben. Doch Ciros ungewohnt ernste Miene belehrte sie eines Besseren. Sie riss sich zusammen, weil sie den Stammgästen vor dem Pub kein Schauspiel bieten wollte. „Wir können dieses Gespräch unmöglich hier führen.“
„Dann komm herunter und lass mich rein.“
Als sie die Tür öffnete und Ciros sehnsuchtsvollen reumütigen Blick sah, wäre sie fast auf der Stelle schwach geworden. Wie sehr hatte sie ihn vermisst! Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen und ihm gesagt, dass alles gut werden würde, aber sie wagte es nicht. Stattdessen ließ sie ihn herein und bat ihn förmlich hinauf in ihre Wohnung.
Ciros Blick ruhte verlangend auf ihrem sexy Po, als sie vor ihm die Treppe hinaufging. Hatte er sich eingebildet, dass eine kleine Entschuldigung genügen und Lily ihm sofort verzeihen würde? Vielleicht. Er war es nicht gewohnt, sich zu entschuldigen, und hatte die Wirkung wohl überschätzt.
In der winzigen Wohnung fiel ihm gleich die größte Veränderung auf: Über dem Kamin hing jetzt ein großes Gemälde in auffälligen Farben, dessen Stil Ciro unschwer erkannte. „Jonnys Werk?“, fragte er.
„Ja, woher weißt du das?“
„Weil er mir eine Postkarte mit ähnlichem Motiv geschickt hat. Sein Stil ist
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