Julia Extra Band 367
sie für so raffgierig hielt? Auf keinen Fall wollte sie Ciro einen weiteren Grund geben, sie zu verachten.
„Du willst, dass dein Bruder Kunst studiert.“
„Nicht um jeden Preis. Wir werden eine andere Lösung finden. Wenn Jonny gut genug ist, bekommt er auch ein Stipendium. Und wenn nicht, dann wird sich für ihn etwas anderes ergeben, weil die meisten Menschen sich so in ihrem Leben arrangieren müssen.“
„Stolze Worte, Lily, aber ich bezweifle, dass du sie ernst meinst.“ Seine Mundwinkel zuckten spöttisch. „Du wirst deine Meinung schnell ändern, wenn du mit meinen Anwälten gesprochen hast. Ich stelle immer wieder fest, wie überzeugend es wirkt, wenn man ein finanzielles Angebot erst einmal schwarz auf weiß vor sich sieht.“
„Aber genau in dem Punkt irrst du doch, Ciro“, widersprach sie heftig. „Wann begreifst du endlich, dass es hierbei nie um Geld gegangen ist?“
„Um was sonst?“ Er sah sie ungläubig an. „Um den Blitz mitten ins Herz?“
Liebend gern hätte sie mit Ja geantwortet, hätte ihm gesagt, dass sie genauso empfunden hatte wie er. Aber was für einen Sinn hatte es, wenn er ihr sowieso nicht glaubte? Ciro hatte sich in jemand verliebt, der überhaupt nicht existierte … in eine Fantasiefrau, die er auf ein unerreichbares Podest gestellt hatte. Und vielleicht hatte sie sich ja auch in einen Mann verliebt, den es gar nicht gab. Denn gleichgültig, wie groß seine Leidenschaft für sie war, würde er doch nie ein guter Ehemann sein. Was für eine Zukunft konnte es mit einem Mann geben, der Frauen mit derartigen Vorurteilen begegnete?
„Das ist jetzt nicht mehr wichtig“, antwortete sie deshalb nur. „Es ist vorbei.“
Ciro war überrascht, wie schmerzlich ihre Worte ihn trafen, doch er redete sich ein, dass sie recht hatte. Es war vorbei. Und eine schnelle Abreise war vielleicht das Beste … für sie beide.
Also machte er ein paar Anrufe. Nur zwei Stunden später trug er Lilys Koffer nach unten, wo ein Taxi wartete, um sie zum Flughafen zu fahren. Das Letzte, woran er sich erinnerte, waren ihre großen blauen Augen, in denen es verdächtig glitzerte, ehe sie sie hinter einer dunklen Sonnenbrille verbarg. Dann setzte sie sich noch einen breitkrempigen Strohhut auf, um ihre improvisierte Frisur zu verstecken, und küsste Ciro impulsiv auf die Wange.
„Adieu, Ciro“, sagte sie heiser. „Pass … pass auf dich auf.“
„Du auch.“ Urplötzlich befiel ihn schreckliche Panik, als wäre er gerade aus einem Flugzeug gesprungen, ohne einen Fallschirm mitzunehmen. „Lily …“
„Bitte, lass es uns nicht unnötig in die Länge ziehen“, wehrte sie rasch ab und stieg ins Taxi.
Ciro sah ihr nach, als sie davonfuhr. Kein Blick zurück. Sie zeigte ihm lediglich ihre schmalen Schultern und darüber den großen Hut, der ihr geschorenes Haar verbarg. Ganz still stand Ciro da, ohne auf die Menschen zu achten, die an ihm vorbeigingen. Als er sich schließlich aufraffte und in seine Wohnung zurückkehrte, war sein Herz seltsam schwer. Er redete sich ein, das wäre völlig normal und dass er in wenigen Tagen seine kurze Ehe vergessen haben würde.
Doch so war es nicht.
Sehr zu Ciros Überraschung. Er musste feststellen, dass sich sein Leben durch Lilys Anwesenheit ebenso verändert hatte wie durch ihre Abreise. Und es waren oft die kleinen Dinge, die ihn daran erinnerten, dass sie wirklich fort war. Das Bett kam ihm plötzlich viel zu groß vor. Morgens, wenn er aufwachte, tastete er unwillkürlich nach ihr und fand statt Wärme und Nähe nur kalte Leere.
Sobald sich herumgesprochen hatte, dass seine Frau nach England zurückgegangen war, galt er als „wieder zu haben“, und nicht wenige Frauen bekundeten sofort ihr Interesse. Was Ciro überhaupt nicht gefiel. Ihm wurde bewusst, wie wohl er sich in Lilys Gesellschaft gefühlt hatte. Wenn er jetzt zum Essen ausging, langweilte er sich, und wenn er allein zu Hause aß, war es einsam und still.
Er rief das Londoner Büro seiner Anwälte an, um sich zu vergewissern, dass Lily die überaus großzügige Abfindung, die er ihr angeboten hatte, angenommen hatte. Als wollte er so noch einmal bestätigt bekommen, wie raffgierig sie war. Tatsächlich aber hatte sie nichts dergleichen getan. Es dauerte einen Moment, bis Ciro begriff, was sein Anwalt ihm verständlich zu machen versuchte: dass Lily D’Angelo aus ihrer Ehe nichts mitnahm.
„Nichts?“, wiederholte Ciro ungläubig.
„Nichts, niente “, wiederholte der Anwalt
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