Julia Extra Band 368
Öffentlichkeit mied.
Sie hatte es nie erlebt, dass Stefano ihr gegenüber den Prinzen rausgekehrt hätte. Nur tags zuvor, als er gedacht hatte, sie schliefe mit Will.
Das hatte sie schockiert. Hinter seiner Drohung hatte ein Besitzanspruch gesteckt, den sie nicht verstand. Wenn er sie wirklich hätte haben wollen, hätte er damals Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie wiederzufinden. Wie schwer konnte es sein, zum Telefon zu greifen oder eine E-Mail zu schreiben? Selbst ein altmodischer Brief hätte den Zweck erfüllt.
Das war der Knackpunkt. Sie war nicht wichtig genug für ihn gewesen, um das zu tun. Aber angesichts dessen, was am Vortag passiert war, wollte er sie ja vielleicht nur alle paar Monate mal sehen und mit ihr ins Bett gehen.
Kiki stöhnte auf und stieg die Treppe zu ihrer Kabine hoch, wo sie sich, wie erwartet, sofort gefangen fühlte.
Hier konnte sie nicht bleiben.
Rasch zog sie den weißen Arztkittel aus und durchforstete ihren Kleiderschrank. Die bunten Sommerkleider waren so grell, dass sie eine Sonnenbrille brauchte. Daher suchte sie so lange, bis sie schließlich etwas Schwarzes fand. Das passte perfekt zu ihrer Stimmung.
4. KAPITEL
Stefano hatte dazugelernt. Als er im Sanitätsbereich anrief, war wie erwartet die Schwester am Telefon
„Nein, Dr. Fender arbeitet heute nicht. Sie ist gerade gegangen, um etwas zu essen.“ Wahrscheinlich in einem der Bordrestaurants.
Stefano war noch nie dort gewesen. Bis auf sein allmorgendliches Bad im Pool ging er den anderen Passagieren aus dem Weg. Aber er könnte sich ja mal im Restaurant umsehen.
Kiki betrachtete das Buffet, zog eine Grimasse und wählte eine Banane. Sie wusste, dass diese Frucht gegen Unwohlsein half, auch wenn ihr nicht wegen des Alkoholkonsums, sondern wegen Stefano übel war. Ihr knurrte der Magen, und sie sah auf die Uhr. Bis zur nächsten Tablette musste sie noch warten. Das war das Problem bei der Pille danach, sie verursachte starke Übelkeit.
Als sie sich zum Pool aufmachte, schoss ein rothaariger Junge an ihr vorbei, lief sie fast über den Haufen, blieb dann stehen und entschuldigte sich. Dann entdeckte er seinen Bruder, der genauso aussah wie er und offenbar sein Zwilling war, rief etwas und lief weiter.
Was für eine Energie … „He, langsam!“, rief Kiki ihm nach.
In dem Moment rannte auch der Bruder los, bog um die Ecke und rutschte aus, ehe Kiki ihn warnen konnte. Er fiel hin und schlug mit dem Kopf gegen einen stählernen Pfosten der Reling.
Kiki erstarrte, dann reagierte sie ganz automatisch.
Mit zwei Schritten war sie bei dem Jungen und beugte sich über ihn, aber er war bewusstlos. Rasch stoppte sie einen Kellner, der gerade vorbeikam, und bat ihn, Hilfe zu holen. Es waren noch kaum Menschen an Deck.
Nur der Passagier, den sie keinesfalls hatte sehen wollen und der jetzt herbeigelaufen kam.
Für den Jungen war sie froh, für sich selbst weniger. Sie unterdrückte die Übelkeit, als Stefano neben sie trat, und konzentrierte sich auf die Gegenwart. „Hast du den Sturz gesehen?“
Stefano nickte. „Er hat Glück, wenn er sich nicht den Schädel gebrochen hat. Ich übernehme den Hals, wenn wir ihn umdrehen.“
Stefano stützte das Genick für den Fall einer Wirbelsäulenverletzung, und gemeinsam drehten sie den Jungen behutsam auf die Seite.
Jetzt tauchte sein Bruder auf, das sommersprossige Gesicht angstvoll verzogen. „Ist er okay?“
Kiki sah ihn an. „Wie heißt du?“
„Mikey.“
„Und dein Bruder, Mikey? In welcher Kabine wohnt ihr?“
Der verschreckte Junge stammelte, dass sein Bruder Chris hieß, und nannte die Kabinennummer.
„Gut. Hol deine Eltern. Ich bin Ärztin. Dein Bruder hat sich den Kopf gestoßen und ist bewusstlos. Wir bringen ihn runter in die Krankenstation, dort treffen wir uns alle.“ Der Junge nickte ängstlich und rannte los. „Langsam!“, rief Kiki ihm nach und sah, dass er gehorchte.
In Gedanken war Stefano in die Vergangenheit zu einem Moment zurückgekehrt, den er nie vergessen würde. Damals war er es gewesen, der Angst gehabt hatte, weil sein Bruder nicht reagierte. Er hatte sich so hilflos gefühlt, weil er den Unfall nicht hatte verhindern können. Seitdem lastete der Vorwurf seines Vaters, dass er die Verantwortung dafür trug, schwer auf ihm – auch jetzt noch. Kein Wunder, dass ihm Kontrolle so wichtig war. Und die schien ihm in diesem Moment zu entgleiten, weil der Junge nicht wieder zu sich kam.
Kiki sah die Trauer in Stefanos Augen und
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