Julia Extra Band 369
wie unbezähmbar.
Er durfte nicht zulassen, sich davon übermannen zu lassen. Nein, das durfte er nicht!
„Machen Sie eines der Motorboote klar“, sagte er mit tiefer Stimme, und augenblicklich brach auf der Jacht geschäftiges Treiben aus. „Ich werde sie selbst herausfischen.“
Cayo Vila hörte, wie ein überraschtes Raunen durch die Mannschaft ging. Ein Mann wie er lief normalerweise niemandem hinterher. Und jetzt jagte er dieser Frau nach. Schon wieder.
Es blieb nur noch eine Frage: Was sollte er bloß mit ihr anstellen?
„Kommen Sie an Bord? Oder wollen Sie vorher noch eine Schwimm-Medaille gewinnen?“, rief Cayo ihr hämisch vom Rand des Motorboots zu.
Dunkel und bedrohlich ragte seine Gestalt über ihr, doch Dru ignorierte ihn, zumindest versuchte sie es.
„Zum Ufer ist es weiter, als es aussieht“, sprach er weiter. „Ganz zu schweigen von der gefährlichen Strömung hier. Wenn Sie nicht aufpassen, dann zieht es Sie leicht bis nach Ägypten.“
Entschlossen und voller Zorn schwamm Dru weiter. Oder war das vielleicht gar kein Zorn, sondern reiner Selbstschutz, um die Tatsache zu verdrängen, dass sie ihn noch einmal geküsst hatte? Der Kuss in Cádiz war aufgrund der Umstände noch verzeihlich gewesen. Aber eben im Salon, das war schon kein Ausrutscher mehr gewesen. Diesmal hatte sie genau gewusst, wie geringschätzig er von ihr dachte – und hatte ihn trotzdem geküsst. Wild und unbeherrscht.
„Ich bin lieber in Ägypten als auch nur einen Moment länger in Ihrer Gesellschaft“, zischte sie. Kaum hatte sie das gesagt, gab Cayo Vila dem Steward ein Zeichen und Drus Stimme ging in lautem Motorengeräusch unter. Sie hörte auf zu schwimmen, denn das Boot fuhr in engen Kreisen um sie herum. Salzige Gischt spritze Dru ins Gesicht, sodass sie sich die Augen reiben musste. Als Dru sie wieder öffnete, war der Motor wieder aus und das Boot schaukelte direkt neben ihr auf den Wellen.
„Ihre Wimperntusche ist verlaufen. Nun sehen Sie aus wie ein Waschbär“, bemerkte ihr Verfolger missbilligend.
„Oh“, erwiderte sie mit spröder Stimme. „Wie mir scheint, haben Sie wohl erwartet, dass ich auch dann noch perfekt geschminkt bin, wenn ich um mein Leben schwimme. Aber vermutlich wissen Sie nicht einmal, dass hinter einem makellosen Make-up viel Arbeit steckt. Woher auch?“
Es kostete Dru einiges an Überwindung, ihre brennenden Augen nicht erneut zu reiben und damit nur noch alles schlimmer zu machen. Wahrscheinlich war ihre Wimperntusche bis zum Kinn verlaufen. Egal! sagte sie sich streng. Doch im Grunde war sie über sich selbst genervt, dass sie ihm insgeheim noch immer gefallen wollte.
„Ich bin eigentlich nicht gekommen, um mit Ihnen Schminktipps auszutauschen“, entgegnete er mit dieser unglaublich sanften Stimme, die sie so anziehend fand. „Aber ich wünschte, mir wäre der Blick hinter Ihre Maske erspart geblieben.“
„Was Sie sich wünschen, Mr Vila, kümmert mich nicht.“
Ein eigentümliches Lächeln, wie Licht in der Dunkelheit, umspielte seine Lippen. Dru musste kurz schlucken. Aber das lag bestimmt nicht an ihm und den Nachwehen dieses Kusses, sagte sie sich, sondern am Salzwasser und an der Anstrengung.
Herrje, was war sie nur für eine schlechte Lügnerin …
„Was Sie kümmert oder nicht“, begann Cayo Vila mit honigsüßer Stimme, „gehört zu den Dingen, die mich nicht interessieren.“ Er lächelte frostig. „Ich bin mir sicher, Miss Bennett, Sie verstehen mich. Und nun sind Sie an der Reihe.“
Bei einem Haiangriff hätte ich bessere Chancen, dachte Dru bitter. Sie schluckte die Worte hinunter, die ihr auf der Zunge lagen, und paddelte mit den Beinen weiter auf der Stelle. Dabei schätzte sie ihre Situation ein. Sie war müde, musste sie sich eingestehen. Müde und erschöpft. Die aufreibenden letzten drei Jahre hatten fast ihre gesamte Energie verbraucht. Dazu kam der heutige Machtkampf mit Cayo. Ihre Batterien waren leer.
Und wie um ihre Gedanken zu unterstreichen, schwappte ihr erneut eine Welle ins Gesicht, und ihr Kopf geriet für einen Moment unter Wasser. In dieser Sekunde wurde ihr bewusst, wie erschöpft sie eigentlich war. Die Belastungen der letzten Jahre hatten ihren Tribut gefordert. Dabei hatte sie immer gehofft, dass alles wieder gut werden würde, wenn sie nur hart genug arbeitete. Sie hatte ihre schwere Kindheit hinter sich lassen wollen und ihrem Bruder ein suchtfreies Leben gewünscht.
Doch dann war der schreckliche Tag gekommen, als
Weitere Kostenlose Bücher