Julia Extra Band 369
übertrieben süß.
Er nahm die Herausforderung jedoch nicht an. „Sie sind eine unabhängige junge Frau“, stellte er fest, als habe sie nicht gesprochen. „Klug, stark und mit erstaunlich wenig Interesse an materiellen Aspekten.“
Wie kam er denn zu dieser Einschätzung? Was wusste er schon von ihr? Als starke Persönlichkeit würde sie sich nun wirklich nicht bezeichnen. „Erstaunlich?“, wiederholte sie deshalb nur schwach. „Wieso erstaunlich?“
„Meiner Erfahrung nach sind Frauen bei der Partnerwahl lediglich an Geld und Macht interessiert.“
Die Hängematte schwankte gefährlich, so abrupt richtete sich Cherry auf. Mit blitzenden Augen sah sie ihn an. „Das ist eine gemeine Lüge!“
„So?“ Er lächelte zynisch. „Ich möchte Sie nicht beleidigen, Cherry, aber es ist keine Lüge, sondern die Realität. Natürlicherweise lieben Mütter ihre Töchter, für die ihnen das Beste gerade gut genug ist. Ebenso natürlich befolgen Töchter die Wünsche ihrer Mütter. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele ehrgeizige Mütter mir in den vergangenen Jahren ihre vielversprechenden Töchter präsentiert haben. Allerdings erst, nachdem sie sich genauestens über meine Vermögensverhältnisse informiert hatten.“
Er blickte ihr offen in die Augen. „Ich kannte selbstverständlich auch andere Frauen, Frauen mit eigenem gesellschaftlichem Ehrgeiz, die ebenfalls gern in die Casa Carella gezogen wären. Als Ehefrau eines Vittorio Carella hätten sie eine gesicherte soziale Position gehabt.“
Cherry schüttelte fassungslos den Kopf. Sah dieser Mann denn nicht in den Spiegel? „Wollen Sie im Ernst behaupten, Frauen seien allein an Ihrem Rang und Namen interessiert?“
Er lachte kehlig. „Nein, natürlich habe ich mehr zu bieten. Keine normal veranlagte Frau würde sich für einen alten und reichen Mann entscheiden, wenn sie auch einen reichen und jungen haben könnte! Aber Geld ist doch ein machtvolles Aphrodisiakum!“
Mit diesen Ansichten beleidigte er nicht nur sie, sondern das gesamte weibliche Geschlecht! Cherry legte den Kopf zurück und antwortete schärfer als beabsichtigt.
„Sie machen mir den Eindruck eines Mannes, dessen Erfahrungen auf nur einen Typ von Frauen begrenzt sind. Oder liegt es an Ihrer negativen Grundeinstellung Frauen gegenüber? Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Das ist eine uralte Volksweisheit.“
„Eine interessante Theorie, signorina .“ Sein plötzlich stark ausgeprägter italienischer Akzent verriet, dass er nicht ganz so cool war, wie er sich gab. „Sie behaupten also, ich bekomme genau das, was ich verdiene.“
Unerschrocken erwiderte sie seinen Blick. Sie war fest entschlossen, sich gegen den souveränen Vittorio Carella zu behaupten. „Das ist meine persönliche Meinung. Ich kenne jede Menge Frauen – Kolleginnen, Bekannte und Freundinnen –, denen das Bankkonto eines Mannes ziemlich gleichgültig ist. Treue und Loyalität sind die Werte, an denen sie interessiert sind.“
„Und was halten Sie von Treue, Cherry?“
Sie atmete einmal tief durch. „Treue lässt sich nicht durch Gold aufwiegen.“
Er kniff die Augen zusammen, strich sich das nasse Haar aus der Stirn und wechselte dann abrupt das Thema. „Sie haben sich lange mit Sophia unterhalten, das konnte ich durchs Fenster beobachten“, wechselte er übergangslos das Thema. „Es schien ein sehr intensives Gespräch gewesen zu sein.“
Wollte er sie etwa aushorchen? Rebellisch hob sie das Kinn. „Wenn Sie glauben, ich würde Ihnen verraten, was Ihre Schwester mir anvertraut hat, täuschen Sie sich gewaltig, Signor Carella!“
„Nein, Miss Cherry Gibbs aus England, dieser Illusion würde ich mich niemals hingeben. Ihrer Ansicht nach behandle ich meine Schwester also gefühlskalt, um nicht zu sagen roh?“
Seine beißende Ironie ließ sie wieder einmal ihre guten Umgangsformen vergessen. „Nein, nicht roh, sondern altmodisch und dumm.“
„Dumm?“ Sein Lächeln war wie weggewischt, und gespannt beugte er sich vor. „Das müssen Sie mir bitte erklären, signorina .“
„Gern. Im Gegensatz zu Ihnen halte ich Sophia für durchaus reif. Trotzdem ist und bleibt sie natürlich in bestimmten Verhaltensweisen ein Teenager. Ich kann mich an das Alter noch genau erinnern: Alles, was die Erwachsenen sagten, war von vornherein falsch. Diese Phase ist einfach notwendig, um den eigenen Willen und die Persönlichkeit auszubilden, und genau das ist momentan Sophias
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