Julia Extra Band 370
seine gesellschaftliche Stellung ausgenutzt und erwartet, dass die ganze Welt nach seiner Pfeife tanzte. Aber das war vorbei. Was hatte sich bei ihm verändert?
Da er wusste, wann sie Feierabend hatte, fuhr er am frühen Abend durch den Nieselregen zum Granchester und wartete. Um kurz nach sechs sah er eine vertraute Gestalt durch eine Seitentür kommen und über den Parkplatz huschen. Sie trug eine Art Hut, dessen Krempe ihr Gesicht halb verdeckte, und verkroch sich tief in ihre Jacke. Zumindest aus der Ferne wirkte sie erschreckend zerbrechlich. Als Titus einen heftigen Stich verspürte, rief er sich nachdrücklich ins Gedächtnis, dass sie ihn skrupellos benutzt hatte.
Er wartete noch zehn Minuten, wobei er mit halbem Ohr den Nachrichten aus dem Autoradio lauschte. Dann ging er hinüber zu dem Wohnblock und fuhr mit dem Aufzug in den fünften Stock. Noch während sein Daumen über der Klingel von Apartment 537 schwebte, versuchte er sich über seine Gefühle klar zu werden. Er war wütend, aber da war noch etwas anderes … Unsicherheit. Ja, er fühlte sich unsicher. Was, wenn sie nicht allein war? Wenn sich dieser alabasterweiße geschmeidige Körper gerade im Bett unter einem anderen Mann wand? Wütend drückte er auf den Klingelknopf und läutete Sturm, und als sich nichts rührte, überlegte er, ob sich die Detektei womöglich in der Apartmentnummer vertan hatte.
Doch dann stand sie plötzlich vor ihm, und ihr Anblick bewirkte, dass ihm seine Anklage im Hals steckenblieb. Sie hatte wieder – wie während ihrer Krankheit – abgenommen und war viel zu dünn. Und in ihren Augen lag ein Ausdruck, den er nicht einordnen konnte. War das wirklich Schuldbewusstsein?
Und warum hämmerte eigentlich sein Herz wie verrückt? Warum hatte er in ihrer Nähe immer das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren?
Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die blassen Lippen, als müsse sie vor dem Sprechen erst Kraft schöpfen.
„Was willst du hier, Titus?“
Er schob sie wortlos beiseite und betrat das kaum mehr als besenkammergroße Apartment. Rechter Hand sah er ein winziges Schlafzimmer und ein ebenfalls winziges Bad, und auf der anderen Seite gab es ein kleines düsteres Wohnzimmer, in dem zum Glück niemand war.
„Ich verlange eine Erklärung.“
„Wie bitte?“
„Stell dich nicht dumm, Roxanne. Du weißt, warum ich hier bin. Du musst mit mir gerechnet haben.“
Sie nickte langsam. Ja, das hatte sie. Und eigentlich schon viel früher. Sie hatte sich gewundert, dass er nicht längst versucht hatte, die Wut loszuwerden, die jetzt seine aristokratischen Gesichtszüge verzerrte. Aber er war offenbar im Urlaub gewesen, so braungebrannt, wie er war. Deshalb hatte sie nichts von ihm gehört. Und doch war dieses Wiedersehen jetzt weit schlimmer als alles, was sie sich je ausgemalt hatte. Weil allein sein Anblick sie sofort daran erinnerte, wie es sich angefühlt hatte, in seinen Armen zu liegen. Erschauernd nahm sie sich vor, ihn so schnell wie möglich loszuwerden.
Sie räusperte sich. „Redest du von dem Videoclip?“
„Den bereits die halbe Welt kennt!“
„Etwa anderthalb Millionen, um genau zu sein“, korrigierte sie erschöpft.
„Werd jetzt nicht unverschämt“, erwiderte er wütend. „Sag mir einfach, wann dir diese brillante Idee gekommen ist. War es, bevor wir Sex hatten oder erst danach? Wahrscheinlich danach, weil die Geschichte ja sonst nicht rund gewesen wäre.“
„Glaubst du das wirklich von mir?“
„Es geht nicht darum, was ich glaube , Roxanne, sondern um das, was war . Du hast da vor einer großen Anzahl hochkarätiger Gäste eine höchst erotische Nummer abgezogen, und irgendwer hat das alles gefilmt.“
„Aber das wusste ich doch nicht!“, verteidigte sie sich. Dass er bei ihren Worten spöttisch die Augenbrauen hochzog, berührte sie schmerzlich. „Ich musste bei dem Kostümverleih natürlich eine Adresse angeben, und so …“
Sie verstummte verlegen, und Titus warf ihr einen angewiderten Blick zu. „Sprich ruhig weiter, Roxanne.“
Sie schluckte. „Und so sind sie wohl auf die Idee gekommen, dass das für sie eine perfekte Gelegenheit ist, um für ihren Verleih zu werben. Keine Ahnung, wie sie ins Haus gelangt sind, um den Auftritt zu filmen. Ich hatte auf jeden Fall nichts damit zu tun!“
„Und das soll ich dir glauben?“ Titus lachte höhnisch auf. „Für wie naiv hältst du mich eigentlich?“
„Was willst du von mir hören?“, fragte sie erschöpft.
„Einfach
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