Julia Extra Band 370
einem Tisch und tupfte sich die Augen ab. „Ich war … einfach nicht darauf vorbereitet.“
„Sie zu vermissen ist in Ordnung, Shirley.“
„Es ist zehn Jahre her. Man sollte meinen, dass ich inzwischen damit umgehen kann.“
Was konnte er sagen? „Ich wünschte, wir würden alle so geliebt.“
Sie holte tief Luft und schien vor seinen Augen langsam wieder aufzuleben.
„Danke, dass du diesen Abend organisiert hast, Hayden. Für sie.“
„Ich habe es nicht für sie getan. Oder für mich. Ich wollte, dass du das Konzert besuchst.“ Er wusste nicht genau, warum.
Verlegen blickte sie zu Boden. „Du glaubst, ich hätte es ohne Hilfe nicht zu der Sinfonie geschafft?“
„Du hättest weiter hinten gesessen. Du hättest die Musik gehört, sie aber nicht …“ Hayden fand das richtige Wort nicht.
Shirley sah auf. „Gelebt?“
„Geatmet. Deine Mutter war eine kluge Frau.“
„Ich wünschte, ich hätte sie als Erwachsene gekannt. Für mich war sie einfach meine Mutter. Sie hat mir gesagt, dass ich meine Hausaufgaben machen und mein Zimmer aufräumen soll, und mir gesagt, was für Sachen ich in der Öffentlichkeit nicht tragen darf.“
„Das Letzte hast du dir zu Herzen genommen, wie ich sehe.“ Hayden lachte, als sie ihm ein falsches Lächeln zuwarf. Es war ein eigenartiges Gefühl, mit ihr in kurzer Zeit die ganze Skala der Gefühle durchlebt zu haben. Hochstimmung, Verzweiflung und jetzt Humor.
„Ich hätte so gern bloß ein einziges Gespräch unter Erwachsenen mit ihr geführt“, murmelte Shirley, wieder traurig.
„Sie wäre stolz auf das gewesen, was du machst. Darauf, wie du für Teile der Allgemeinheit sprichst und andere herausforderst. Darauf, wie furchtlos du bist, wie provozierend.“
„Das ist Shiloh.“
Hayden sah ihr tief in die Augen. „Eines Tages würde ich gern Shirley kennenlernen.“
„Ich glaube nicht, dass sie es mit deinem Sarkasmus aufnehmen könnte.“
„Aber Shiloh kann es?“
Sie hob das Kinn. „Ganz bestimmt.“
Während hinter ihnen gedämpft Musik spielte, blickten sie sich lange an und warteten beide darauf, dass der andere zuerst wegsah. Zwei ebenbürtige Gegner.
„Das Nächste ist deins“, sagte Hayden schließlich.
„Wie bitte?“
„Unser nächstes Abenteuer. Du wählst aus. Du organisierst.“
„Mir war nicht klar, dass wir uns abwechseln.“ Oder dass sie sich noch einmal zusammentun würden.
„Scheint mir gerecht zu sein. Und du bist doch für Gerechtigkeit.“
„Du hast dir etwas ziemlich Leichtes ausgesucht.“
„Wie wäre es, wenn du dich erst einmal im Lendenschurz in ein Haus voller Neunjähriger wagst und mir dann erzählst, wie leicht dieser Punkt auf der Liste war?“
Shirley überlegte. „Na gut, ich helfe mit. Da eine der Karten für mich war, ist es nur fair, wenn ich auch die Hälfte der Arbeit leiste.“
„Du willst zu der Kinderparty mitkommen?“
Ja, unerklärlicherweise. „Um der Gerechtigkeit willen.“
„Du wirst dich verkleiden müssen.“
„Sag mir einfach, als was du gehst, und ich wähle etwas Passendes aus.“
„Musst du fragen?“
„Leonidas.“ Natürlich, der König von Sparta. „Wann?“
„Samstag in zwei Wochen. Ich simse dir die Adresse.“
„In der Zwischenzeit arbeite ich schon mal an unserem nächsten Kreuzchen auf der Liste.“ Und damit hatte sie sich, einfach so, entschieden, die Liste mit Hayden gemeinsam zu Ende zu bringen.
Selbst wenn das vielleicht dumm war.
„Okay, wir sehen uns Samstag in zwei Wochen.“ Shirley rief einen Platzanweiser herüber. „Hallo …“, sie lächelte, ganz Shiloh, „… ich habe plötzlich Migräne, und wir haben in der ersten Reihe gesessen. Könnten Sie Leute weit hinten finden, die sich um diese Plätze reißen würden, und sie ihnen geben?“
Der junge Mann lächelte. „Ja, mir schwebt da schon ein Paar vor, dass sich sehr freuen würde. Danke!“ Er ging davon.
Shirley drehte sich zu Hayden um. In seinem Gesicht spiegelten sich Verwirrung, Neugier und noch etwas, was sie nicht bestimmen konnte. „Was ist?“
„Das war nett. Mir wäre es nicht eingefallen, die Karten zu verschenken.“
Sie musterte ihn einen Moment lang. „Ich denke, das sagt mehr über dich als über mich aus.“
„Möglich.“
„Bis dann.“ Sie ging zu den Fahrstühlen.
„Als was kommst du?“, rief Hayden ihr nach.
„Lass dich überraschen.“
„Ich hasse Überraschungen.“
Sie blickte über die Schulter und antwortete à la Shiloh. „Eine etwas
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