Julia Extra Band 372
zehn Jahren nichts verändert hatte und ihm all die Baseballspieler an den Wänden schon lange nichts mehr sagten. Es gab Wichtigeres im Leben, um das er sich die letzten Wochen gekümmert hatte. Doch bald schon würde er wieder nach Boston zurück müssen.
Davor warteten noch ein paar schwere Entscheidungen auf ihn.
Doch zunächst das Wintervergnügen. Eins nach dem anderen.
Während er so seinen Gedanken nachhing, war J. C. vom Park wieder ins Stadtzentrum zurückgefahren. Alles sah ganz wundervoll aus, das Inbild eines höchst stimmungsvollen Weihnachtsfests ohne jeden Kitsch. Na ja, fast ohne jeden Kitsch.
Ein Gefühl der Verantwortung und des Stolzes erfüllte J. C., während er sich in Beckett’s Run umschaute. Als Kind hatte er den Ort gehasst und sich nur von hier fortgewünscht. Gegen alles hatte er aufbegehrt. Einmal hätte ihn sogar fast die Polizei in Gewahrsam genommen. Doch er war erwachsen geworden, hatte angefangen zu arbeiten und die Vergangenheit hinter sich gelassen.
Auch wenn er selbst sich wohl nie dauerhaft in der Stadt niederlassen würde, verstand er, warum die Leute hier wohnten und Familien gründeten. Nichts schien sich zu ändern. Beckett’s Run strahlte ein Gefühl der Heimat und Geborgenheit aus, das auch J. C.s Familie gerade bitter nötig hatte.
Ein Quietschen riss ihn aus den Gedanken, das Geräusch von Reifen, die auf Eis durchdrehten. J. C. konnte mit seinem Geländewagen gerade noch einem kleinen kirschroten Cabrio ausweichen, das quer über die Kreuzung schlitterte und erst in einem Schneehaufen zum Stehen kam.
Er fuhr rechts ran und stieg aus. Die kalte Luft traf ihn mit aller Macht. Rasch zog er den Reißverschluss seiner Jacke zu und suchte in den Taschen nach seinen Handschuhen. Bei dem kleinen Wagen angekommen, pochte er gegen die Seitenscheibe.
Die Scheibe fuhr herunter. J. C. sah nicht mehr als die zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen langen blonden Haare einer Frau und den Kunstfellkragen ihrer blauen Jacke. „Geht es Ihnen gut, Ma’am?“, erkundigte er sich.
„Entschuldigen Sie bitte, Officer. Mein Führerschein muss hier irgendwo sein.“ Ungeduldig murmelte sie noch etwas vor sich hin, während sie in einem Rucksack auf dem Beifahrersitz herumkramte. „Ah, hier ist er ja.“
Sie drehte sich um und hielt ihm ein weißes Dokument entgegen. Er musste den Namen darauf nicht erst lesen, um zu wissen, wen er vor sich hatte. Trotz der ungewohnten riesigen Filmstar-Sonnenbrille auf ihrer Nase, dem leuchtenden Lippenstift und dem kirschroten Cabrio.
„Grace McKinnon.“ Seine Stimme verriet keinerlei Überraschung, auch wenn sie sicherlich der Mensch war, den er am allerwenigsten in Beckett’s Run erwartet hätte.
Sie lehnte sich in dem schwarzen Ledersitz zurück und schirmte ihre Augen mit einer Hand ab. „J. C.?“
„In Person.“
Sie lachte auf. „Du lieber Himmel. Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe … Ach Gott, ich kann mich gar nicht mehr erinnern.“
Erinnerte sie sich wirklich nicht? Er jedenfalls konnte es noch allzu gut. Vielleicht hatte sie die Erinnerung einfach aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Was er übrigens auch tun sollte. Die Vergangenheit ließ man am besten ruhen.
Sie lehnte sich mit beiden Ellbogen auf den Türrahmen und sagte kopfschüttelnd: „Und ich hatte einen Polizisten erwartet. Glücklicherweise bist es nur du.“
„Nur ich?“
„Du weißt schon, wie ich es meine. Jemand, der mich kennt.“
Was sollte er darauf sagen? Es hatte tatsächlich eine Zeit gegeben, da er glaubte, Grace zu kennen. Doch das hatte sich als verdammt falsch herausgestellt.
„Warum sprichst du mich eigentlich mit Ma’am an? Als wäre ich eine alte Frau. Dabei bin ich noch nicht einmal erwachsen.“
Er ließ seinen Blick über ihre Rundungen und den tiefen Ausschnitt ihrer Bluse wandern. Von wegen nicht erwachsen.
Schnell rief er sich zur Ordnung. Warum war er noch mal hier? Ach ja, wegen unvorsichtigen Fahrens. Nicht, um unvorsichtigen Gedanken nachzuhängen.
„Du bist zu schnell gefahren, Grace.“ Er zeigte auf die Kreuzung. „Die Straßen sind glatt, und überall laufen Fußgänger. Bitte fahr doch vorsichtig. Zum Besten von uns allen.“
„J. C., du kennst mich doch. Bin ich jemals vorsichtig gewesen? Und genau das hat dir doch gefallen, oder nicht?“
Er stützte sich am Dach ihres Autos ab und beugte sich hinunter. Immer näher kam er ihren haselnussbraunen Augen, und Erinnerungen an früher schossen in ihm hoch.
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