Julia Extra Band 372
Manchmal denke ich, er weiß einfach alles. Und wenn ich mir vorstelle, dass ich ohne Sie gar nicht auf dem College wäre, Mr Carson! Undenkbar! Ich hätte mir das nie leisten können. Endlich kann ich machen, wovon ich immer geträumt habe.“
Ihr Dank war ihm peinlich. „Jeder soll machen, was ihm Spaß macht, finde ich.“ Wenn er Freunden helfen konnte, dann tat er das immer gern.
Ein bisschen beneidete er Macy sogar um ihr Grafikdesign-Studium. Er hatte Wirtschaft studiert, dabei wäre er damals am liebsten Musiker geworden. Nichts als ein dummer Traum, beruhigte er sich selbst.
Macy nahm einen Becher und fragte: „Wie immer?“
„Wie bitte? Ach ja, danke.“ Er wartete am Tresen, während der Kaffee durchlief. Als sie ihm den Becher zuschob, griff er nach seinem Portemonnaie. Sie wehrte ihn ab.
„Wenn ich bei Ihnen kassieren würde, könnte ich mir aber etwas anhören von Dad.“
„Danke.“ J. C. steckte das Geld in die Sammelbüchse eines Kinderhilfswerks. Macy schenkte ihm noch ein Lächeln, dann widmete sie sich wieder ihrer Arbeit. Er griff nach einer herumliegenden Zeitung und überflog sie, während er an seinem Kaffee nippte. Auch für die Zeitung war das Wintervergnügen das bei Weitem Aufregendste. Sonst geschah nicht viel in Beckett’s Run. Und genau darum fühlten sich die Leute hier wohl.
J. C.s Leben hingegen war in Boston, dort saß die Firma mit all ihren Angestellten. Das Problem war nur, dass er schon viel zu viel Geld verdient hatte, als dass es ihm noch irgendetwas bedeutete. Er hatte zwar seine Arbeit, aber er wusste nicht mehr, warum er das alles machte.
Er dachte an die Veränderungen, die in den letzten Monaten im Leben seiner Familie stattgefunden hatten. An den 18 Kilo schweren Grund für seine Rückkehr nach Beckett’s Run und in sein Kinderzimmer. Ein Grund, der ihn erwägen ließ, Boston Boston sein zu lassen und wieder in sein Heimatstädtchen zu ziehen. Doch kaum dachte er das, meldete sich sofort wieder laut und deutlich die Stimme seines Vaters in ihm.
„Was bist du? Ein Idiot? Willst du die Firma einfach so wegwerfen? Wenn du das machst, bist du ein Nichts, ein Niemand.“
Vier Jahre war sein Vater nun schon tot, ein ernster, unnahbarer, unerbittlicher Mann.
„Man ist es seiner Familie schuldig, für sie zu sorgen. Es verbietet sich von selbst, etwas so Dummes zu machen und die goldene Gans zu schlachten.“
Die Carson-Vermögensverwaltung würde es zwar bestimmt überleben, wenn sich J. C. aus der von seinem Vater und Großvater aufgebauten Firma zurückzog. Aber sie wäre nicht mehr dieselbe. J. C. wusste von unzähligen Kunden, dass sie der Firma ihr Geld nur seinetwegen oder wegen seines Vaters anvertrauten, manche sogar noch wegen seines Großvaters. Geldgeschäfte erforderten Vertrauen, und Vertrauen konnte nur zwischen Menschen entstehen.
Dennoch fragte sich J. C. an manchen Tagen, ob es wirklich das war, was er eigentlich wollte. Irgendwann waren seine Wünsche und Träume verschüttet worden von der bloßen Notwendigkeit, das Geschäft immer weiter auszubauen. Was, wenn er die Firma verließe?
Würde er den geliebten Menschen damit helfen oder würde er ihnen schaden?
J. C. hörte hinter sich jemanden leise fluchen. Er fuhr herum und sah Grace, die gerade hereingekommen war, die Haare wie immer zum Pferdeschwanz zusammengebunden, die Wangen von der Kälte gerötet. In der Hand hielt sie eine Tüte des örtlichen Buchladens.
„Sie sind also doch da“, sagte sie.
„Wer?“
Grace sah ihn aus ihren haselnussbraunen Augen an. Augen, in denen man sich als Mann verlieren konnte. Jahrelang hatte J. C. sie gar nicht mehr in der Stadt gesehen und jetzt gleich zweimal innerhalb weniger Tage.
„Was hast du gesagt?“
„Wen meinst du mit ‚sie‘?“
„Großmutters Buchklub.“ Grace wies auf eine Gruppe älterer Damen hinten im Coffee-Shop. „Grandma meinte, sie würden wegen der nahenden Feiertage vielleicht nicht auftauchen.“
„Ich kann mich an keinen Dienstag erinnern, an dem sie nicht hier waren.“
Grace stöhnte. „Warum mach ich das nur?“
„Du leitest heute Marys Buchklub? Wie kommst du denn dazu?“
„Sie hat mich darum gebeten. Besser gesagt: Sie hat mich verführt.“ Sie beugte sich zu J. C. und flüsterte: „Mit ihren Keksen.“
Sie war so nahe gekommen, dass ihr verführerischer Duft J. C. in die Nase stieg. Es fiel ihm schwer, sich zusammenzureißen. Ein schwerer Vanilleduft lag verlockend in der Luft. Was war das
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