Julia Extra Band 372
Entschuldigung mehr, meine Liebe. Komm, bitte.
Deine Dich liebende
Großmutter
Sollte sie wirklich nach Beckett’s Run fahren? Für viele wäre es bestimmt eine verlockende Aussicht, Weihnachten in dem kleinen verschneiten Nest in Massachusetts zu verbringen. Grace jedoch schauderte bei dem Gedanken.
Beckett’s Run. Vor vielen Jahren war sie Hals über Kopf von dort aufgebrochen. Sie überflog noch einmal den Brief. Zweihundertjahrfeier. Alle werden da sein. Alle? Ihre Gedanken überschlugen sich, und ihre Entscheidung stand fest. Sie warf sich den Rucksack über die Schulter und verließ das Zimmer.
Auf nach Beckett’s Run!
Ganz Beckett’s Run war wie verzaubert von dem Weihnachtsglanz, der das Städtchen überzog. Nichts war mehr zu spüren von winterlichem Trübsal, der graue November war nur noch eine ferne Erinnerung. Alles strahlte im satten Rot und Grün der Festtage, überall erklang weihnachtliche Musik, und Lichterketten funkelten über den Gehwegen. Die Bank vor Rays Drogeriegeschäft wurde von einer leuchtend roten Girlande geschmückt, die Statue des Stadtgründers Andrew Beckett hatte man mit Tannenzweigen und Schleifen verziert, und selbst der Keramikfrosch in Lucy Wilsons Vorgarten hatte eine Weihnachtsmannmütze auf.
J. C. Carson rollte in seinem Range Rover langsam an Carol’s Diner vorbei und grüßte die Mitglieder des Karpfenklubs, Al, Joe und Karl. Die drei behaupteten steif und fest, ihr Klub diene gemeinsamen Angelausflügen. Doch J. C. war überzeugt, sie wollten nur Tag für Tag vor Carol’s Diner sitzen, das Leben der Gemeinde beobachten und den neuesten Tratsch austauschen. An der Kreuzung bog er nach rechts Richtung Park ein. Verträumt lagen die Bäume und Rasenflächen unter der Schneedecke, als könnten ihnen all die fleißigen Freiwilligen nichts anhaben, die mit den Vorbereitungen für das Beckett’s-Run-Wintervergnügen beschäftigt waren. Hier brauchte offenbar gerade niemand seine Hilfe. Das Wintervergnügen ging auf den Stadtgründer Andrew Beckett selbst zurück und war mittlerweile um eine Parade, Schlittenrennen, den Wettbewerb um den schönsten Weihnachtsbaum und vieles andere ergänzt worden. Die Zweihundertjahrfeier jedoch sollte noch schöner und prächtiger werden als alles zuvor.
Wie J. C. hörte, hatte sich schon ein Fernsehteam in Victoria’s Bed and Breakfast einquartiert, obwohl das Wintervergnügen noch nicht einmal begonnen hatte. Der Grund war bestimmt, dass Beckett’s Run wegen seiner ganz besonderen Weihnachtsatmosphäre in einer bekannten Zeitschrift erwähnt worden war. Plötzlich begannen sich auch andere Medien für das Städtchen zu interessieren.
Die wichtigsten Vorbereitungen waren abgeschlossen, und J. C.s vordringlichste Aufgabe war es nun, die tausend kleinen Arbeiten zu koordinieren. Noch vor zehn Jahren hätte wohl niemand daran gedacht, ausgerechnet J. C. die Planung für einen reibungslosen Ablauf zu übertragen, so viel Ärger, wie er allen bereitet hatte. Doch das war lange her, und seit dieser Zeit war er ein anderer Mensch geworden.
Nach dem Zeitschriftenartikel waren die Übernachtungsanfragen in die Höhe geschnellt, zur Freude der gesamten Stadt. Die Besucher würden die Dollar mitbringen, die die Menschen hier so dringend brauchten. Zu viele Läden hatten schon aufgeben und zu viele Einwohner hatten ihre Häuser verkaufen müssen. J. C. tat, was er nur konnte, um den Niedergang zu verhindern, aber irgendwann hatte er einsehen müssen, dass er alleine nicht die ganze Stadt retten konnte.
Das war der eine Grund gewesen, warum er jetzt das Wintervergnügen organisierte. Schmerzvoll hatte er beobachtet, wie es mit Beckett’s Run Jahr für Jahr ein bisschen weiter bergab ging. Wenn das Wintervergnügen der Stadt wieder den Glauben an sich selbst zurückgab, so wollte er gerne mit ganzer Kraft dabei helfen. Es reichte schon, wenn ein paar Touristendollar ihren Weg in die kleine Stadt fanden.
Doch ein ganz privater Grund hatte für J. C. letztlich den Ausschlag gegeben, den Vorsitz des Organisationskomitees zu übernehmen. Ein Grund, der ihm sehr viel wichtiger war als das ökonomische Wohlergehen der Stadt.
Ein einziger Tag hatte sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Damals hatte er sich bei Carson Investments freigemacht, den Schlüssel für sein Bostoner Apartment seiner Haushälterin gegeben, war nach Beckett’s Run gefahren und zurück in sein altes Kinderzimmer gezogen. Es war ihm egal, dass sich in dem Zimmer seit
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