Julia Extra Band 372
den Schaden nur ein wenig dramatisierte, könnte er sie vielleicht überzeugen, sie und Molly in die Frühstückspension zu bringen, an der sie in der Stadt vorbeigekommen waren. Dort hätte sie Gesellschaft, und eine freundliche Pensionswirtin würde sich darum kümmern, dass es ihren Gästen gut ging und an nichts fehlte. Sie wäre nicht allein und könnte sich nicht verkriechen und über ihren Problemen brüten.
„Sie haben doch nicht etwa vor, während der Renovierungsarbeiten hier im Haus zu wohnen, oder?“
„Warum nicht?“
„Deswegen.“ Er deutete an die Decke.
Sie lachte spöttisch. „Sie vergessen, dass ich in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen bin. So ein Fleck schreckt mich nicht weiter.“
„Elise, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Sturheit. Sie haben ein Baby, im Haus gibt es einen Wasserschaden, und das Dach ist auch undicht. Sie können das vielleicht aushalten, aber Molly sollte nicht hier hausen müssen.“
„Vielleicht kommt der Wasserschaden nur daher, weil ein halbes Jahr keiner hier gewohnt hat.“
„Und das undichte Dach?“
„Das lasse ich reparieren. Wie man sieht, muss hier sowieso jede Menge gemacht werden, bevor ich das Haus verkaufen kann. Also fange ich eben mit dem Dach und den Wasserleitungen im Bad an.“
„Ich lasse nicht zu, dass Sie hierbleiben, wenn jeden Moment das Dach über Ihnen einstürzen könnte.“ Er trat aus dem Bad in den oberen Korridor, auf der Suche nach einer herunterziehbaren Leiter zum Speicher. Als er keine fand, ging er ins erste Schlafzimmer. Laken und Bettwäsche des Doppelbetts waren abgezogen und die Matratzen mit einer Plastikfolie abgedeckt worden. Das Haus wirkte wie eine leere Hülle. Ein bisschen so wie Elises Leben. Sie hatte alles, nur keine persönlichen Kontakte. Und er würde sicherstellen, dass das anders wurde, bevor er sie verließ. Selbst wenn er dazu ihre Lage dramatisieren müsste.
Eine staubige Kommode stand zwischen zwei Türen. Hinter der einen Tür fand er einen Wäscheschrank, hinter der anderen verbarg sich die Treppe auf den Speicher.
„Sie bleiben hier unten“, sagte er zu ihr, weil er ihr den Zustand des Dachs schlimmer darstellen wollte, als er vielleicht war.
Oben angekommen, sah er, dass sich der Schaden im Dach auf eine undichte Stelle beschränkte. Er schaute sich um und untersuchte den ganzen Speicher. Sogleich fühlte er sich in die Zeit zurückversetzt, als er sich sein Collegestudium als Zimmermann verdient hatte. Im Grunde war das Dach noch ganz in Ordnung, aber es war alt und musste ausgebessert werden. Eigentlich war das keine große Sache, und mit ein paar Helfern könnte er es sogar selbst innerhalb von ein paar Tagen erneuern.
Er sah sich noch einmal prüfend um, ob er sich auch nicht überschätzte. Zumindest wäre sie nicht allein, wenn er dabliebe. Er lächelte verschmitzt. Vielleicht sollte er den Schaden eher kleinreden, als ihn zu dramatisieren. Es war so kurz vor Weihnachten, dass sie wohl kaum einen Handwerker finden würde. Und wenn sie herumtelefonierte und niemanden fand, dann hätte er eine Ausrede dafür, dazubleiben.
Er kletterte die Speichertreppe wieder hinunter. Elise wartete unten im Schlafzimmer auf ihn.
„Also, ich glaube ich habe ein bisschen übertrieben, als ich sagte, Sie könnten wegen der undichten Stelle im Dach nicht hier wohnen bleiben.“
„Wunderbar. Können Sie mir bitte Ihr Handy leihen? Dann rufe ich gleich einen Dachdecker an.“
„Gerne, aber ich würde lieber dabei sein, wenn Sie mit ihm telefonieren.“
Sie stöhnte entnervt auf. „Sie trauen mir wohl nicht zu, dass ich wirklich anrufe. Ich will doch das Haus für den Verkauf instand setzen, da muss ich das Dach sowieso irgendwann richten lassen. Ich habe also keinen Grund, Ihnen vorzuschwindeln, dass ich dort anrufe.“
„Ich weiß, ich will ja nur dabei sein, falls Sie bei diesem Telefongespräch einen Rat brauchen.“
Sie sah ihn kopfschüttelnd an und ging mit Molly auf dem Arm in die Küche, auf der Suche nach einem Telefonbuch. Als sie es gefunden hatte, reichte ihr Jared sein Handy und nahm ihr Molly ab.
Wie Jared erwartet hatte, waren alle Handwerker, die sie anrief, rund um die Feiertage vollkommen ausgebucht. Er konnte folglich wie ein gerissener Pokerspieler seine Trumpfkarte einsetzen. „Da alle Dachdecker ausgebucht sind, mache ich Ihnen folgenden Vorschlag. Wie Sie wissen, habe ich ein Helfersyndrom. Und ich habe mir mein Studium als Zimmermann finanziert.“
Sie
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