Julia Extra Band 372
und Verpacken der letzten Weihnachtsbestellungen sehr beschäftigt sein. Draußen sind mehrere Pflückteams im Einsatz, und in den Packschuppen herrscht das Chaos. Sehr weihnachtlich.“
„Die Kirschen oder das Chaos?“
„Beides. Jedes Mal, wenn ich Kirschen sehe, denke ich sofort an Weihnachten. Und das Chaos gehört einfach dazu. Außerdem sind Kirschen typisch für Ballochburn. Zusammen mit Pfirsichen und Aprikosen natürlich. Und Äpfel im Winter.“
„Ein gesundes Fleckchen Erde.“
„Na ja“, sagte sie. „Ich wünschte, er wäre grade etwas gesünder.“
„Wieso?“
„Bei meinem Hausbesuch bringe ich einer Patientin, die im Sterben liegt, Morphium.“
„Oh.“ Sein Tonfall verriet, dass Jack sich unbehaglich fühlte.
Offenbar wollte er es lieber nicht so genau wissen. Tja, Pech gehabt. Um die Atmosphäre ihres Heimatortes wirklich zu erfassen, sollte er wohl einige Dinge erfahren.
„Sue Wheeler ist meine älteste Freundin“, berichtete Jill. „Die Einzige, die in Ballochburn geblieben ist. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, aber anders als wir andern hatte sie nie das Bedürfnis, die Gegend zu verlassen. Sie hat sich schon in der Schule in Dave verliebt, und sie wollte immer nur mit ihm auf seiner Plantage leben und eine eigene Familie gründen. Sie haben mit neunzehn geheiratet, da war Sue schon schwanger.“
Sie fuhren die Straße entlang, die an Faiths Haus vorbeiführte, aber Jill hatte kaum einen Blick für die herrliche Rosenhecke übrig.
„Innerhalb von vier Jahren haben sie drei kleine Jungen bekommen. Der Älteste ist fast zehn, aber Sue wünschte sich immer eine Tochter. Also haben sie es noch einmal versucht, und vor knapp drei Jahren kam dann Emma. Sie waren überglücklich.“ Jill seufzte. „Aber vor anderthalb Jahren wurde alles zu einem Albtraum.“
„Sie wurde krank?“
„Ja. Nichts Auffälliges zu Anfang, aber Sue wusste, dass irgendwas nicht stimmte. Dad hat ihr wie immer aufmerksam zugehört und sich große Mühe gegeben, herauszufinden, was los war. Man hätte den Krebs nicht früher diagnostizieren können, doch es reichte eben nicht, um sie zu retten.“
„Was für ein Krebs ist es denn?“
„Eine sehr seltene Form von Unterleibskrebs. Eine Zeit lang hat Sue sich Vorwürfe gemacht, weil sie glaubte, es könnte mit den Pestiziden auf der Plantage zusammenhängen. Dafür gibt es allerdings keinen Beweis. Es ist einfach eine tragische Geschichte.“
„Wie viel Zeit bleibt ihr noch?“
„Nicht mehr lange. Die Familie hofft, dass sie wenigstens dieses letzte Weihnachtsfest noch gemeinsam erleben können. Sie hat keine großen Schmerzen, und die Leute hier helfen ihnen, so gut es geht. Es ist wunderbar, dass sie zu Hause sein kann. Aber es ist einfach furchtbar traurig.“
„Ja.“ Jack blickte durchs Seitenfenster.
Jill war enttäuscht, dass die Geschichte ihn offensichtlich nicht weiter berührte. Andererseits kannte er die Familie ja auch gar nicht.
Trotzdem. Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Hatte sie sich vielleicht doch in ihm geirrt? Hatte sie sich die Momente nur eingebildet, in denen sie ein bisschen Wärme in ihm entdeckt zu haben glaubte? Weil das der Anziehung, die er auf sie ausübte, mehr Bedeutung verleihen würde als die rein körperliche Ebene?
Vielleicht war es ja auch besser so. Dann wäre es leichter, wenn er wieder aus ihrem Leben verschwand.
Wenige Minuten von der Plantage der Wheelers entfernt, ertönte plötzlich ihr Pager.
Sofort hielt Jill auf dem breiten Grasseitenstreifen an. „Ich muss in der Notfallzentrale anrufen“, erklärte sie.
„Die Jefferson-Plantage?“, sagte sie gleich darauf. „Ja, ich weiß, wo die ist. Ich bin ganz in der Nähe.“
Sie legte auf, machte eine Kehrtwende mit dem Jeep und beschleunigte ihn. „Ein Unfall auf der Nachbarplantage der Wheelers. Ein Kirschenpflücker ist von der Arbeitsbühne gestürzt.“
Jack musste sich am Griff festhalten, als sie unvermittelt abbremste und mit quietschenden Reifen auf eine Schotterpiste abbog. Hinten auf der Ladefläche fiel Bella mit einem dumpfen Geräusch um.
„Ups. Entschuldige, Bella.“
Doch Jack bemerkte Jills Lächeln. Im Gegensatz zu ihm genoss sie den Adrenalinschub, den dieser Notfall bei ihr auslöste. Er hätte lieber gar nichts gespürt, konnte es jedoch nicht verhindern. Automatisch sprang auch er aus dem Wagen, sobald Jill abrupt vor dem Plantagenaufseher stoppte, und schaute sich rasch um.
Mehrere Meter über dem Erdboden
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