Julia Extra Band 372
ab. Hier gab es einen Holztisch mit Bänken und einen an drei Seiten geschlossenen Betonkasten mit schwarz verfärbten Innenwänden, der schon zu vielen Barbecues benutzt worden war. Der Jeep holperte an dem Tisch vorbei, einen steilen Weg zwischen Bäumen hinunter, und dann erblickte Jack zum ersten Mal den Fluss von Ballochburn.
Es war einer der für Neuseeland typischen verzweigten Flussläufe, in denen tiefe und flache Seitenkanäle kleine, kiesbedeckte Inseln umschlossen. In einiger Entfernung weiter flussabwärts sah Jack Leute. Man hörte freudiges Geschrei und geräuschvolles Geplansche von Jugendlichen, die von einem Felsvorsprung in ein tiefes Naturbecken sprangen. Vielleicht Highschool-Schüler, die Ferien hatten. Vielleicht ein guter Platz zum Fotografieren.
Im Moment konnte Jack dies jedoch nicht vorschlagen. Denn Jill saß da, das Lenkrad so fest umklammert, dass ihre Knöchel hervortraten, obwohl sie den Jeep längst angehalten hatte.
Zu Jacks Schrecken liefen ihr Tränen über die Wangen.
Er konnte ihren Schmerz verstehen. Sie war emotional sicher sehr an dem Schicksal ihrer Freundin beteiligt. Vermutlich fühlte Jill sich hilflos und ohnmächtig, als wären all ihre medizinische Ausbildung und Erfahrung nutzlos.
Obwohl er sich auf keinen Fall in ihren Schmerz mit hineinziehen lassen wollte, um nicht selbst wieder in Verzweiflung zu versinken, musste er dennoch irgendetwas sagen.
Ein wenig unbeholfen berührte er ihren Arm. „Es tut mir leid.“ Seine Stimme klang zögernd. Er ließ die Finger über ihren Arm gleiten und spürte, wie Jill seine Hand packte.
„Es wird schon wieder.“ Sie schniefte. „Entschuldigen Sie, ich brauche bloß eine Minute, um mich zusammenzureißen.“
Wie sollte das gehen?
„Eigentlich ist es wunderschön“, meinte sie ein paar Sekunden später. „Nur Sue und Emma sind dort im Haus. Sie kuscheln zusammen und schauen sich Trickfilme an. Emma liebt sie. Sie haben ihr Bett ins Wohnzimmer gestellt, und die Videos laufen fast vierundzwanzig Stunden am Tag für sie.“
„Emma?“ Jack lief ein kalter Schauer über den Rücken, und sein Griff um Jills Hand verstärkte sich unwillkürlich. „Emma ist diejenige, die im Sterben liegt?“ Er hatte angenommen, dass es die Mutter wäre.
Jill nickte. Sie schniefte erneut und wischte sich mit dem Handballen die Nase. „Wo sind Taschentücher, wenn man mal eins braucht?“, meinte sie mit einem schwachen Lächeln.
Jack versuchte gar nicht erst, das Lächeln zu erwidern. „Das kleine Mädchen?“, fragte er fassungslos. „Die Tochter, die sich Ihre Freundin so sehnlichst gewünscht hatte?“
Wieder nickte sie. „Sie ist ein wunderbares Kind. Ich habe sie in diesem Jahr gut kennengelernt, weil sie und Sue monatelang in Auckland gewesen sind. In den vergangenen anderthalb Jahren waren sie bei den besten Kinderärzten im ganzen Land. Es wurde alles versucht, aber der Krebs lässt sich einfach nicht aufhalten. Inzwischen macht der Tumor den größten Teil von ihr aus, und es tut ihr weh, wenn sie sich bewegt. Aber solange sie still liegt und ihre Familie um sich hat, ist sie glücklich.“
Noch ein paar Tränen liefen Jill über die Wangen, die sie jedoch entschlossen abwischte. „Sie hat ein so schönes Lächeln, Jack. Jeder, der sie sieht, schließt sie sofort ins Herz. Und alle machen das Beste aus der Zeit, die sie noch bei uns ist.“
Jack war wie erstarrt. Noch immer hielt er ihre Hand und blickte sie eindringlich an. Offenbar wusste sie, wie man mit solchen Dingen umging.
„Wie schaffen Sie das?“, fragte er leise. „Emotional so stark beteiligt zu sein, als Ärztin und als Freundin, obwohl Sie wissen, was passieren wird?“
„Ich denke, genau darum geht es in der Medizin“, antwortete sie. „Es ist einer der Berufe, die viel mehr sind als nur ein Job. Er zeigt einem sowohl, wer man ist, als auch das, was man ist.“
Jill atmete tief durch und blinzelte ihre Tränen fort. Durch die Windschutzscheibe schaute sie auf den Fluss hinaus. „Die Arbeit als Arzt bestimmt das eigene Leben, und manchmal kann das auch andere Beziehungen in Mitleidenschaft ziehen. Ich nehme an, dass dies vielleicht gerade bei meinen Eltern der Fall ist. Aber Dad muss nun mal sehr viel Kraft in seinen Beruf stecken. Genau das macht ihn aus. Und mich auch.“ Sie hielt inne.
„Es ist wie bei jeder anderen Beziehung auch“, fuhr sie dann leise fort. „Man kriegt immer nur so viel zurück, wie man zu geben bereit ist. Wenn man
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