Julia Extra Band 372
seinen Augen lag eine stumme Bitte. „Es ist mein Leben, Jilly. Das müsstest du doch am besten verstehen.“
„Jetzt nehmen wir dir erst mal Blut ab“, erwiderte sie. „Falls wir es rechtzeitig in die Stadt schicken können, kriegen wir das Ergebnis noch heute Abend. Wenn alles normal ist, werde ich nichts sagen. Noch nicht.“
Für Jack Sinclair galt dieses Versprechen allerdings nicht. Sobald Jill beruhigt war, dass ihrem Vater keine akute Gefahr drohte, stieg wieder der Zorn auf Jack in ihr auf. Jetzt wusste sie auch, warum sie so wütend war.
Sie fühlte sich betrogen.
Instinktiv hatte sie diesem Mann vertraut, doch er war nicht ehrlich zu ihr gewesen.
In dem kurzen Gang, der zum Wartezimmer führte, hielt sie inne, verschränkte die Arme und sah ihn böse an. „Du hast mich angelogen. Du bist gar kein Fotograf.“
„Jetzt schon.“
„Du hättest mir längst die Wahrheit sagen können. Du hast dir von mir ja sogar zeigen lassen, wie du den Kopf des verunglückten Kirschpflückers halten solltest! Ich fasse es nicht!“
„Ich habe beschlossen, den Arztberuf aufzugeben“, sagte er. „Dabei bleibe ich auch.“
„Und wieso bist du nicht dabei geblieben, als es klar war, dass Dad einen Herzanfall hatte?“
„Weil ich merkte, dass er nicht auf dich hört und du Unterstützung brauchtest.“
„Du konntest nicht anders, das war der wahre Grund. Man hört nicht einfach auf, Arzt zu sein“, gab Jill zurück. „Und da habe ich dir erzählt, dass es mehr darauf ankommt, wer man ist, als auf das, womit man seinen Lebensunterhalt verdient. Du wusstest genau, was ich meinte.“
Oder vielleicht doch nicht? Immerhin hatte er kein allzu großes Interesse an Emmas Geschichte gezeigt, und sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie enttäuscht sie darüber gewesen war.
„Ich nehme an, du bist einer von diesen Medizinern, die ihren Beruf nur als Job ansehen“, fuhr sie bissig fort. „Diejenigen, die so wenig wie möglich emotional beteiligt sind.“
Jack zuckte sichtlich zusammen. „Nein!“
„Dann hat es dich also gelangweilt?“ Es war einfach, ihren Ärger, dass sie sich gestattet hatte, sich wieder in den falschen Mann zu verlieben, an Jack auszulassen. Ihn dafür verantwortlich zu machen. Auf diese Weise konnte Jill sich schnell davon befreien und ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben.
„Was für ein Arzt warst du, Jack? Dermatologe? Pathologe? Psychiater?“
„Notfallmediziner, wenn du’s unbedingt wissen willst.“
„Nein, wohl kaum.“ Jill wandte sich ab, wobei sie verächtlich die Locken zurückwarf. „Ich würde dir vermutlich nicht glauben, was du gesagt hast, und was tut das schon zur Sache? In ein oder zwei Tagen bist du doch sowieso wieder weg.“
Jacks Stimme klang leise und beherrscht. „Wäre es dir lieber, wenn ich gleich gehe?“
Jill drehte sich um. „Es wäre also in Ordnung für dich, einfach abzuhauen und andere Menschen im Stich zu lassen? Was meinst du, wie Jarred sich fühlen wird, wenn er glaubt, dass du über Weihnachten hier bist? Und was ist mit Tante Faith? Du hast dich bereit erklärt, die Fotos für den Kalender zu machen, von dem sie so begeistert ist.“
Sie atmete tief durch. „Nicht dass es mich überraschen würde. Wenn du die Medizin einfach so aufgeben kannst, macht es dir wahrscheinlich auch nichts aus, andere Menschen zu enttäuschen.“ Mit einem letzten, tief gekränkten Blick erklärte sie: „Es ist dir völlig egal, habe ich recht? Wenn du gehen willst, bitte sehr!“
9. KAPITEL
Es erstaunte Jack kaum, dass der überkonfessionelle Kirchenchor von Ballochburn in traditionelle rote Roben und weiße Rüschenkragen gekleidet war. Außerdem hielt jeder einen dazu passenden, glänzend polierten Kerzenleuchter. Mit Faith als Chorleiterin musste alles seine Ordnung haben.
Jills Mutter stand in einem Halbkreis, in dem die Chormitglieder der Größe nach aufgereiht waren. Auf der rechten Seite saß Judith Cartwright kerzengerade aufgerichtet an einem kleinen tragbaren Keyboard. Der Chor sang absolut rein, und es gab auch keine typisch neuseeländischen Weihnachtssongs, sondern nur die guten alten Lieder wie ‚Stille Nacht, Heilige Nacht‘, ‚Away in a Manger‘ und ‚Hark the Herald Angels Sing‘, die auf der Krankenstation ertönten.
Jarred hockte auf dem Boden neben Enid Hinkleys Sessel und beobachtete fasziniert, wie Wally Briggs’ dichter Schnurrbart sich auf und ab bewegte, während er in seinem wohlklingenden Bariton die
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