Julia Extra Band 375
konnte.
Liz hielt den Kaffeebecher in den Händen und unterdrückte das Bedürfnis, aus dem Fenster zu schauen. Nur allzu gern hätte sie sich davon überzeugt, dass die beiden sicher aus der Einfahrt bogen. Andrew ist kein kleiner Junge mehr. Ich muss nicht mehr jeden seiner Schritte überwachen.
Aus dem Augenwinkel sah sie in der Mikrowelle ihr Spiegelbild. Ich habe meine Haare doch eben erst geföhnt. Wieso sieht meine Frisur jetzt schon wieder so schlaff aus?
Zum Glück hatte Liz nicht auf ihr Aussehen, sondern auf ihre effiziente Arbeitsweise gesetzt, um ihren Boss zu überzeugen. Als ob man diesen Mann überhaupt mit irgendetwas anderem als mit Kalkulationstabellen beeindrucken konnte.
Vielleicht sollte ich ihm meine Argumente einfach in einer Tabelle zusammenfassen und auf den Schreibtisch legen. Dann bräuchte ich mir auch keine Gedanken mehr über meine Frisur zu machen.
Liz kicherte in sich hinein und trank einen Schluck vom Kaffee. Ich sollte mir endlich überlegen, was ich Bishop sage, damit er mir die Gehaltserhöhung gibt. Andrew würde im nächsten Jahr auf jeden Fall auf die Trenton Academy gehen – koste es, was es wolle! Selbst wenn sie dafür betteln, borgen oder stehlen musste. Heute würde sie betteln.
Hoffentlich ist Charles Bishop in Geberlaune.
Liz hatte sich vorgenommen, heute besonders zeitig im Büro zu sein. Doch daraus wurde nichts. Auf dem Weg zur Arbeit war es ihr leider nicht gelungen, den Bus von der Mittelschule zu überholen, der in der Innenstadt von Gilmore alle fünf Minuten hielt. Sie kam gerade noch pünktlich im Büro an. Liz wollte gleich früh mit Bishop sprechen, bevor er sich allzu sehr in seine heiß geliebten Tabellen vertiefte.
Vielleicht hatte sie ja Glück und er war auch irgendwo aufgehalten worden.
„Guten Morgen, Elizabeth.“
Verdammt. Er war pünktlich.
Sie setzte ihr professionellstes Lächeln auf. „Guten Morgen, ich wollte Ihnen gerade Ihre heutigen Termine vorlegen.“
Wie immer sah der Geschäftsführer von Bishop Paper umwerfend aus. Mit seinem Cashmeremantel, dem Designer-Wollanzug und dem maßgeschneiderten Hemd machte er einen so wohlhabenden Eindruck, dass man ihn ohne Weiteres für einen Millionär halten konnte. Doch auf seinen markanten Gesichtszügen lag ein Schatten.
„Sind die Umsatzprognosen von der Buchhaltung schon da?“, fragte er und überflog seine Termine.
Noch mehr Kalkulationstabellen. Der Mann ist definitiv besessen. „Noch nicht“, antwortete Liz.
Er schaute auf und sah ihr direkt in die Augen. Obgleich sie sich selbst dafür hasste, stockte ihr der Atem. Die schwarzen Wimpern waren unerhört elegant geschwungen und umrahmten perfekt seine kobaltblauen Augen. Das ist nicht fair! Es ist einfach nicht fair, dass ein Mann, der so kalt und in jeglicher Hinsicht unausstehlich ist, solche Augen hat.
„Sagen Sie ihnen, dass sie mir die Zahlen bis spätestens zehn Uhr zumailen sollen“, wies er Liz an.
„Selbstverständlich.“ Sie würde warten, bis er wieder in seinem Büro verschwunden war, um diese schlechte Nachricht zu überbringen. Die Sekretärin des stellvertretenden Geschäftsführers Leanne Kenny bekam mit Sicherheit einen Anfall und würde vielleicht sogar laut werden. Ein weiterer Grund für eine Gehaltserhöhung: die Kompensation möglicher Hörschäden.
„Ich erwarte zudem eine Expresslieferung von Xinhua Paper“, fuhr Bishop fort. „Sobald das Paket da ist, bringen Sie es mir herein.“
Da alles besprochen war, ging er zurück zu seiner Bürotür. Liz’ Handflächen wurden feucht. Jetzt oder nie. „Ich wollte Sie fragen …“
Er hatte die Hand bereits auf die Klinke gelegt und hielt inne. „Ja?“
„Hätten Sie einen kurzen Moment Zeit für mich? Ich würde gern etwas mit Ihnen besprechen.“
Charles Bishop runzelte die Stirn. „Stimmt irgendetwas nicht?“
„Nein, es ist alles in bester Ordnung.“ Alles außer meinem Gehalt. „Ich möchte Sie nur etwas fragen – etwas Berufliches“, beeilte sie sich hinzuzufügen.
„Gut, kommen Sie in mein Büro.“
Sein Büro. Auch nach drei Monaten klang es in ihren Ohren noch immer eigenartig, wenn er das ehemalige Büro seines Vaters so nannte. Doch wenn sie den Raum betrat, wurde ihr jedes Mal nur allzu bewusst, dass Ron Bishop nie zurückkehren würde. Als der frühere Geschäftsführer noch am Leben war, standen überall Fotos von Firmenevents und Benefizveranstaltungen.
Von seinem Sohn hatte es allerdings kein einziges Bild
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