Julia Extra Band 376
die er sofort unterdrückte. Es geschah zum Wohl seines Landes. Je eher wieder Ruhe und Ordnung einkehrten, desto besser.
Er ging ihr entgegen und war an ihrer Seite vor dem mit reichen Schnitzereien verzierten Schreibtisch angekommen, als sie mit einer unglücklichen Handbewegung das Tintenfass aus französischem Kristall umstieß. Tiefschwarze Tinte ergoss sich über seinen Anzug und den handgewebten antiken Teppich.
Sämtliche Anwesenden hielten den Atem an. Ohne zu zögern, riss Luisa einige Blätter Löschpapier von dem Messingroller und sank auf die Knie, um den Fleck abzutupfen. Natürlich stürzten sofort Bedienstete herbei, die Luisa gar nicht wahrnahm.
„Entschuldigen Sie, Madam?“ Einer der Chef-Butler brachte geeignete Reinigungsmittel, um das Gröbste zu beseitigen.
„Luisa?“ Raul nahm sie beim Arm. „Lass sich die Bediensteten darum kümmern.“
Im ersten Moment wollte sie protestieren, doch dann fiel ihr Blick auf die Anwesenden ringsum, und ihr schien erst bewusst zu werden, wo sie sich befand … und dass sich die Mitglieder des fürstlichen Rates und andere Honoratioren einzig zu dem Zweck eingefunden hatten zu bezeugen, dass sie offiziell das Erbe des verstorbenen Prinzen von Ardissia antrat.
Errötend senkte sie den Blick. Raul zog sie sacht auf die Füße, überrascht, wie zart und zerbrechlich sie sich plötzlich anfühlte.
„Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Der Teppich ist sicher sehr kostbar, nicht wahr?“
„Eine Replik, weiter nichts“, schwindelte Raul, weil er sie nicht noch unglücklicher machen wollte. „Komm, setz dich. Dies ist dein Platz.“
Dankbar nahm sie in dem bereitstehenden Sessel Platz. Raul schob Füllfeder und Löschpapier beiseite und zog stattdessen seinen Kugelschreiber aus der Tasche. Höchste Zeit, dass Monteregio endlich mit der Zeit ging. Es gab überhaupt keinen Grund, wichtige Dokumente immer noch altmodisch mit Tinte zu unterzeichnen.
Lukas brachte den Vertrag, der bestätigte, dass Luisa Prinzessin von Ardissia das Erbe ihres Großvaters antrat. Was sie gleichzeitig zu Rauls zukünftiger Frau bestimmte.
Die Zeugen traten vor. Raul reichte Luisa den Kugelschreiber.
Und wartete.
Denn Luisa unterzeichnete nicht. Stattdessen las sie sich die englische Übersetzung der Dokumente gründlich durch. Immer wieder wandte sie sich an Lukas und bat um Erläuterung einzelner Passagen. Das Publikum wurde allmählich unruhig. Einige der Ratsherren zogen pikiert die Brauen hoch und begannen zu tuscheln.
Luisas angespannte Haltung verriet, dass sie sich der Unruhe durchaus bewusst war. Dennoch las sie unbeirrt weiter. Raul, der sie aufmerksam beobachtete, konnte nicht anders, als sie zu bewundern. Sie tat, was auch er getan hätte, handelte vorsichtig und bedachtsam. Er musste sich eingestehen, dass sie ihn immer mehr faszinierte. Ihr Eigensinn, ihr Pragmatismus, ihr Stolz … ebenso wie ihre Natürlichkeit und aufregende Sinnlichkeit. Wann hatte eine Frau ihn zuletzt so erregt?
Mit einer raschen, entschlossenen Bewegung nahm Luisa schließlich den Kugelschreiber und setzte ihre Unterschrift unter die Dokumente. Nur Raul, der direkt neben ihr saß, bemerkte, wie ihre Hand zitterte. Doch trotz aller Schuldgefühle war er unendlich erleichtert. Schon bald würde er den Thron besteigen, und in sein Land konnten wieder Ruhe und Frieden einkehren.
Er nahm den Kugelschreiber aus ihrer Hand, um als erster Zeuge schwungvoll neben Luisa zu unterschreiben. Dann sah er sie an. „Danke, Luisa“, sagte er leise.
Ihre Blicke begegnete sich, und Raul durchströmte heißes Verlangen nach dieser faszinierenden Frau. Es würde eine Zweckehe sein, eine Heirat aus Staatsräson zum Wohl seines Landes. Aber Raul registrierte erstaunt, dass er die Aussicht durchaus angenehm fand.
6. KAPITEL
„Ich hätte es nicht gründlicher vermasseln können“, bemerkte Luisa seufzend, während sie Lukas durch ein Labyrinth von Korridoren zu ihrer Suite folgte.
„Ganz und gar nicht, Madam. Sie haben die Situation mit beachtlicher Fassung gemeistert.“
Rauls Privatsekretär war wirklich sehr nett. „Danke, Lukas, aber Sie müssen mir nichts vormachen. Ich habe die Blicke gesehen und gehört, wie sie getuschelt haben, als ich mir den Vertrag so gründlich durchgelesen habe.“
„Manche der Ratsherren sind noch von der alten Schule“, räumte Lukas ein. „Seine Hoheit Prinz Raul würde mir sicher zustimmen, dass es zu seinen größten Herausforderungen gehört, die nötigen
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