Julia Extra Band 376
Reformen voranzutreiben, um Monteregio ins einundzwanzigste Jahrhundert zu führen.“
Luisa horchte interessiert auf. „Sie reden, als hätte er schon lange die Verantwortung für das Land. Ich dachte, der alte Fürst wäre erst vor Kurzem gestorben.“
Der Privatsekretär räusperte sich befangen. „Das ist richtig, Madam. Aber … Seine Hoheit war schon lange davor in vieler Hinsicht verantwortlich. Der alte Fürst hat … hat sehr viel in die Hände des Kronprinzen gelegt.“
Es klang, als scheute sich Lukas, die ganze Wahrheit auszusprechen. Luisa musste an Rauls Andeutung denken, dass es Unruhen im Land gab und er durch seine Thronbesteigung das Ausbrechen von Chaos verhindern wolle. Sie hatte ihn für einen berechnenden Ehrgeizling gehalten, aber handelte er vielleicht doch vor allem zum Wohl seines Landes? Sie hoffte es.
„Und was Ihr erstes öffentliches Auftreten heute betrifft“, fügte Lukas freundlich hinzu, „da weiß ich zufällig, dass der Prinz sehr zufrieden mit Ihnen war.“
Darauf wollte sie wetten! Ihr war keineswegs entgangen, wie er sie mit Argusaugen beobachtet hatte, bis sie endlich die ach so wichtigen Dokumente unterschrieben hatte. Wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie sich auch so viel Zeit gelassen, um ihn ein wenig auf die Folter zu spannen.
Letztendlich musste sie sowieso unterschreiben. Wegen ihrer Freunde in Australien und weil sie ihr Wort gegeben hatte.
Jetzt gab es wirklich kein Zurück mehr. Ihr Herz pochte, als sie an die Konsequenzen dachte. „Können Sie mir den Weg in den Garten zeigen, Lukas? Ich brauche etwas frische Luft.“
Vierzig Minuten später fühlte Luisa sich schon viel besser. Auf ihrem ausgedehnten Spaziergang war sie auf einen Gärtner getroffen, der sie gern herumgeführt hatte. Da sie nur noch wenig Monteregianisch sprach und Gregor einen besonders breiten Dialekt, verständigten sie sich mit Händen und Füßen.
Besonders interessierte sie sich für den Rosengarten, wo wundervolle alte Rosen wuchsen, deren Namen sie noch von ihrer Mutter kannte. Und natürlich zeigte der Gärtner ihr den im ehemaligen Festungsgraben angelegten Obstgarten, einen eingefriedeten Garten mit Springbrunnen und Gartenlauben und einem Kräutergarten, in dem Luisa einige seltene Kräuter entdeckte.
Zum ersten Mal seit Tagen konnte sie wieder richtig durchatmen und fühlte sich frei. Leichten Schrittes stieg sie die Wendeltreppe im Festungsturm empor.
Nun war sie also Prinzessin … Wenn sie nur daran dachte, wurde ihr ganz flau im Magen. Oder lag es am Turm? Sie hatte ein wenig Höhenangst, und die offene Fensterscharte gewährte einen schwindelerregenden Blick über die Stadt. Halt suchend tastete Luisa nach der Wand und stieg tapfer weiter empor. Schließlich gelangte sie oben an eine niedrige Öffnung auf der dem Schloss zugewandten Seite. Werkzeug lag herum, als hätte dort jemand gearbeitet. Die Mauerbrüstung war so niedrig, dass Luisa sich lieber hinkniete und mit beiden Händen auf der Mauer abstützte.
Weit unten sah sie jemanden durch den Garten gehen, dessen Gang ihr vertraut vorkam. Raul. Sofort klopfte ihr Herz schneller.
Er sah sie, rief etwas und rannte plötzlich auf den Turm zu.
Wider alle Vernunft fühlte sie sich ertappt und wich zurück. Zu ihrem Entsetzen gab die Mauer jedoch unter ihren Händen nach, und der oberste Stein rutschte mit einem schrecklichen Geräusch vorwärts. Sie wollte sich nach hinten ziehen, aber ihr Oberkörper war schon zu weit vorn. Mit einem lauten Ächzen bröselte die marode Brüstung weg, große Bruchstücke stürzten in die Tiefe und landeten mit einem dumpfen Aufprall.
Luisa fiel nach vorn, lag mit ausgebreiteten Armen auf dem rauen Mauerwerk und starrte fassungslos auf den Abgrund vor sich. Sie wagte nicht, sich zu rühren. Wo war Raul? Ihr Hals war wie zugeschnürt, sodass sie nicht einmal schreien konnte. Zitternd versuchte sie, sich zentimeterweise nach hinten zu schieben, rutschte jedoch nur weiter nach vorn, weil sich wieder ein Stein löste und hinabpolterte.
Jeden Augenblick konnte der nächste sie mit in die Tiefe reißen.
„Alles ist gut.“ Rauls Stimme drang beruhigend in ihr Bewusstsein vor. „Ich habe dich.“ Bei diesen Worten umfing er mit starken Armen ihre Taille.
„Nein! Bleib weg! Es ist zu gefährlich!“ Die bröselnde Mauer konnte Rauls Gewicht zusammen mit ihrem nicht halten, sodass sie beide hinabstürzen würden.
„Beweg dich nicht. Entspann dich einfach, und überlass es
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