Julia Extra Band 376
Hochzeitsempfang! Ihr großer Tag.
Trotzig hielt sie Rauls Blick stand, hob ihr Champagnerglas und trank es mit wenigen Schlucken aus.
„Entschuldigst du mich bitte, Tamsin?“, sagte sie dann. „Ich glaube, ich sollte mich meiner Schwiegermutter vorstellen.“ Sie stellte ihr leeres Glas auf das Tablett eines herbeieilenden Obers, raffte anmutig den bauschigen Rock ihres seidenen Hochzeitskleids und steuerte in so selbstbewusster Haltung auf ihr Ziel los, dass die Hochzeitsgäste bereitwillig zur Seite wichen.
Was für ein umwerfender Anblick, wie sie geradewegs durch die Menge schritt, als würde diese überhaupt nicht existieren! Raul stand wie gebannt, als sie majestätisch und mit wehendem Spitzenschleier über das polierte Parkett auf ihn zukam. Ihre perlenbestickten Schuhe blitzten im Licht der Kronleuchter.
Zerstreut schob er Anas Hand von seinem Arm. Er hatte der Etikette Genüge getan, indem er sie in aller Öffentlichkeit höflich begrüßt hatte. Doch nun war es genug.
Er hatte schon vor acht Jahren genug von ihr gehabt! Ohne ihren Protest zu beachten, ging er auf die Frau zu, die er soeben geheiratet hatte. Alle Anspannung der vergangenen Tage und Wochen schien von ihm abzufallen und einer erregenden Vorfreude zu weichen, die von Luisas herausforderndem Blick befeuert wurde.
„Du siehst hinreißend aus.“ Lächelnd trat er ihr entgegen und legte ihr besitzergreifend einen Arm um die Taille. Dann nahm er galant ihre Hand und hob sie an seine Lippen. Ihre schönen blauen Augen funkelten warnend, doch Raul drehte ihre Hand unbeeindruckt um und presste den Mund auf die Innenseite ihres Handgelenks. Zufrieden fühlte er, wie sie erschauerte. Ungeachtet der Zuschauer ringsum beließ er es aber nicht dabei, sondern küsste verführerisch ihre Handfläche.
Das Aufleuchten in ihren Augen war Belohnung genug.
Vergeblich versuchte Luisa, ihm ihre Hand zu entziehen. „Willst du mich nicht deiner Mutter vorstellen?“
„Du meinst die zweite Frau meines Vaters. Nicht meine Mutter“, korrigierte er.
„Mein Fehler“, entgegnete sie kühl. „Ihr beide schient so vertraut miteinander.“
Kleine Katze. Er liebte diese belebenden Wortgefechte mit Luisa, bewunderte ihre Schlagfertigkeit und ihren Mumm, wenn sie sich gegen ihn auflehnte. Ja, und nicht zuletzt freute ihn der unmissverständlich eifersüchtige Unterton.
Er beugte sich vor und flüsterte ihr ungeniert zu: „Nein, ich werde sie dir nicht vorstellen. Du würdest sie nicht mögen.“
Luisa sah ihn sichtlich verblüfft an. „Warum nicht?“
Hatte sie eine Ahnung, wie unwiderstehlich sexy ihr sinnlicher Mund war? Raul jedenfalls hatte Mühe, einen klaren Kopf zu bewahren. „Weil sie kein netter Mensch ist.“ Es überraschte ihn, wie gut es tat, diese Wahrheit auszusprechen, auch wenn sie nur für Luisas Ohren bestimmt war. Zu lange hatte er den Schein wahren müssen.
„Ich sollte sie doch wenigstens kennenlernen?“
„Das ist nicht nötig, denn sie reist noch heute Abend nach L.A. ab. Anscheinend mit ihrem neuesten Liebhaber, der wohl ein Hollywood-Produzent ist.“
Es war ein Fortschritt, dass er nicht einmal wütend über das Verhalten seiner Stiefmutter war. Von einer Frau wie Ana konnte man nicht erwarten, dass sie wenigstens der Form halber um ihren verstorbenen Mann trauerte. Die Ehe war von Anfang an eine Farce gewesen, wenngleich sein Vater so hoffnungslos vernarrt in seine junge Frau gewesen war, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie sehr sie ihn, den Fürsten, in aller Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preisgegeben hatte.
Doch sein Vater war tot, sodass Raul auf seine Gefühle keine Rücksicht mehr nehmen musste. Ana konnte froh sein, wenn er ihr gegenüber überhaupt noch das Mindestmaß an Höflichkeit bewahrte.
„Komm.“ Er wandte sich zu dem Podest, wo unter einem Baldachin der Thron stand. Luisa raffte die Röcke und folgte ihm. Nach Anas schwerem Parfüm war ihr zarter Lavendelduft wunderbar erfrischend. Raul atmete ihn tief ein, als er Luisa die Stufen zum Podium hinaufhalf.
Wie bezaubernd sie aussah, wenn sie errötete! Er konnte gar nicht erwarten, sie in die Arme zu schließen. Natürlich würde es für einiges Aufsehen sorgen, wenn das Brautpaar den Empfang so früh verließ. Aber Raul war nicht in der Stimmung, das Protokoll zu beachten. Zum ersten Mal seit all den Jahren, in denen er sich ausschließlich der Pflicht untergeordnet hatte, entschied sich Raul, auf die Etikette zu pfeifen.
Es war ein gutes
Weitere Kostenlose Bücher