Julia Extra Band 376
öffentlicher Erwartungen ohne die beruhigende Gewissheit gegenseitiger Liebe gegenübertreten.
Luisa seufzte bedrückt, als es an der Tür klopfte.
„Es ist Zeit, Eure Hoheit.“
Festliche Orgelmusik erklang, als die massiven Türen aufschwangen und Luisa die große Schlosskapelle betrat. Altehrwürdige Buntglasfenster tauchten den Kirchenraum in vielfarbiges Licht, und die Luft war vom Duft der üppigen Blumenbuketts erfüllt. Hunderte von Gesichtern wandten sich Luisa zu. Sie kannte nicht eines davon.
Panikerfüllt verharrte sie auf der Schwelle und umklammerte den Arm ihres Brautführers.
Alaric legte seine Hand beruhigend auf ihre und neigte sich ihr zu. „Luisa?“
„Das ist eine kleine Hochzeit?“, flüsterte sie ungläubig.
„Nur Mut. Du hast es bald überstanden“, entgegnete Alaric leise und ging langsam weiter, sodass sie keine andere Wahl hatte als mitzugehen. „Tamsin und ich haben für solche Anlässe eine Wette laufen, wer den verrücktesten Hut entdeckt. Auf Hochzeiten stecken sich die Frauen doch die absurdesten Dinge an den Kopf, oder?“
Mit dieser kleinen Geschichte gelang es ihm fast, sie von den neugierigen Blicken abzulenken, die ihr auf ihrem gesamten Weg zum Altar mit unverhohlenem Interesse folgten. Plötzlich bemerkte sie ein freundliches Lächeln. Tamsin, die eine elegante goldfarbene Robe trug, nickte ihr aufmunternd zu.
Unvermittelt war das Ende des Ganges erreicht, und Luisa wandte sich dem Mann zu, dessen Blick sie seit Betreten der Kapelle ausgewichen war. Raul. Groß und umwerfend attraktiv, sah er in seiner schwarz-roten Paradeuniform wirklich wie ein Märchenprinz aus.
Luisa wurde es plötzlich ganz eng ums Herz. Konnte vielleicht doch etwas aus ihnen werden? Der Besuch in der Ausstellung, der zärtliche Kuss im Turm, waren das nicht zaghafte Ansätze einer richtigen Beziehung? Sie versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Er wirkte stolz, ernst und unnahbar. Nicht eine Spur von Freude, geschweige denn Liebe.
Sie blinzelte gegen drohende Tränen an und hasste sich für ihre Schwäche. Wie konnte sie sich selbst im Angesicht seiner Gleichgültigkeit nach der Zärtlichkeit sehnen, die er ihr flüchtig gezeigt hatte?
Alaric übergab Luisa nun an Raul, der ihre Hand fest in seine nahm. Tapfer unterdrückte sie ihre Panik und sah zu dem üppigen Blumenschmuck am Altar auf, ein Meer aus Rosen und Lilien. Der Duft war so überwältigend, dass sie kaum atmen konnte. Nur mit halbem Ohr hörte sie zu, als der Priester zu sprechen begann. Ihr einziger Gedanke war, dass bei ihr zu Hause Lilien traditionellerweise Beerdigungsblumen waren.
„Wer ist die Frau? Sie war nicht beim Defilee.“
Luisa beobachtete eine zierliche Blondine, die sich auf der anderen Seite des Saales aufreizend an Raul lehnte, eine Hand vertraulich auf seinem Arm. Ihr scharlachrotes Kleid passte nicht nur perfekt zu seiner Paradeuniform, sondern ließ auch tief in ihr beachtliches Dekolleté blicken.
Tamsin, der die Frage galt, bekam einen Hustenanfall und hätte fast ihren Champagner verschüttet.
„Alles in Ordnung?“
Sie winkte ab. „Ja, ja, ich habe mich nur am Champagner verschluckt.“
„Also, was ist? Kennst du die Frau nicht?“
Errötend wich Tamsin Luisas forschendem Blick aus. „Die Frau neben Raul, meinst du? Mach dir ihretwegen keine Gedanken“, versicherte sie etwas zu eifrig. „Sie lebt jetzt in den USA.“
„Aber wer ist sie denn?“
Ihre neue Freundin trank einen großen Schluck Champagner. „Das ist Ana. Rauls Stiefmutter.“
„Aber sie ist doch viel zu jung!“ Und sie benahm sich auch nicht gerade wie eine Stiefmutter, sondern flirtete schamlos mit Raul, der ihr aufmerksam zuzuhören schien. Luisas einziger Trost war, dass er genauso starr und unbewegt dastand wie während der Trauung neben ihr.
„Ich schätze, Raul und sie sind ungefähr im gleichen Alter.“
Tamsin war anzusehen, dass ihr das Thema höchst unangenehm war, was Luisas Argwohn schürte. Bei genauerem Hinsehen fiel ihr jetzt auf, dass die übrigen Gäste merkwürdig Abstand hielten und das Paar unverhohlen neugierig beobachteten.
Nein! Luisa weigerte sich, voreilige Schlüsse über die Beziehung zwischen Raul und seiner Stiefmutter zu ziehen. Dennoch fühlte sie sich irgendwie verraten. Als hätte er gespürt, dass sie ihn beobachtete, blickte er plötzlich auf und sah sie an. Luisa errötete, als wäre sie ertappt worden. Dabei hatte sie nun wirklich jedes Recht, hier zu sein. Es war ihr
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