Julia Extra Band 377
undurchdringlich.
„Wollen Sie nach Hause?“, fragte er.
„Ich dachte, Sie wären schon gegangen.“
„Wie kommen Sie denn darauf?“
„Sie knüpfen schnell Kontakte.“ Kaum hatte Zoe das gesagt, bereute sie es. Schuldbewusst blickte sie über die Schulter, als sie das heisere Lachen der Tierärztin hörte. Den Gerüchten zufolge hatte deren Mann sie wegen eines jüngeren Models verlassen. Wer wusste schon, welchen Schmerz sie mit ihrem Verhalten überspielte?
Plötzlich schämte Zoe sich. Die Frau war verletzt und brauchte Mitgefühl, keine bissigen Bemerkungen. Tatsächlich verdiente sie sogar Bewunderung, weil sie vor einem Scherbenhaufen gestanden hatte und sich nun wieder nach oben kämpfte.
„Eigentlich nicht.“
Zoe sah Isandro an. „Ich glaube, Sie haben heute viele Freunde gewonnen.“ Keiner der Gäste, mit denen sie gesprochen hatte, hatte etwas Schlechtes über ihn gesagt, und alle hatten ihr versichert, wie glücklich sie sich schätzen konnte, für ihn zu arbeiten.
Allerdings machten ihr diese Reaktionen zu schaffen. Die Leute waren so oberflächlich, dass sie nur sein attraktives Äußeres und sein charmantes Lächeln sahen. Wer außer ihr hatte noch beobachtet, wie er sein Weinglas in einen Pflanzenkübel leerte? Womöglich die Frauen, die ihn den ganzen Abend angehimmelt hatten? Nein, alle verhielten sich so, als hätte er ihnen mit seinem Erscheinen eine große Ehre erwiesen.
Zoe hatte sich einige Male auf die Zunge beißen müssen. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass er alle für sich einnehmen würde. Wer sollte ihr jetzt noch glauben, dass er sie gleich bei ihrer ersten Begegnung gefeuert hatte und immer noch nach einem Grund dafür suchte?
Isandro erwiderte Zoes direkten Blick. „Ich habe viele Bekannte, aber nur wenige Freunde.“ Freundschaft setzte Vertrauen voraus. Und er vertraute nur wenigen Menschen. Deshalb schätzte er seine wahren Freunde umso mehr.
Und ich bin nicht einmal eine Bekannte, sondern nur eine Angestellte, dachte Zoe. „Es ist bestimmt schwierig, zu beurteilen, ob jemand Sie nur um Ihrer selbst willen liebt.“
„Ich erwarte keine Liebe.“ Er zog die Brauen hoch. „Oder reden Sie von Sex?“
„Sex?“, rief Zoe.
Zu ihrem Leidwesen hörten es alle, weil die Gespräche genau in dem Moment verstummten. Am liebsten hätte sie sich in einem Mauseloch verkrochen.
„Entschuldigen Sie mich bitte …“ Sie machte eine unbestimmte Geste, bevor sie schnell zu den geöffneten Terrassentüren ging und dabei einige scherzhafte Bemerkungen erntete. Sie brauchte unbedingt frische Luft.
Als ihr jemand ein Tablett mit Drinks hinhielt, nahm sie sich ein Glas. Vorsichtshalber roch sie daran und stellte erleichtert fest, dass es sich um einen von Chloes alkoholfreien Cocktails handelte.
Auf der Terrasse kam Zoe an einer Gruppe von Männern vorbei und ging dann die stark ansteigende Rasenfläche hoch, wo sie sich am Rand auf einen kürzlich gefällten Baum setzte. Während sie langsam an ihrem Drink nippte, neigte sie den Kopf und blickte in den Sternenhimmel. Dabei kam ihr der Gedanke, dass sie viel zu selten innehielt und einfach nur das Leben genoss.
Nach einer Weile legte sie sich auf den Rücken, den Blick immer noch gen Himmel gerichtet, und summte leise vor sich hin. Irgendwann schloss sie die Augen.
„Ich kann das nicht annehmen …“
Zoe hob den Kopf, als sie Johns Stimme hörte. War sie eingenickt? Warum ignorierte John sie? Dann fiel es ihr ein. Er konnte sie nicht sehen.
„Doch, Sie können. Denken Sie nur daran, wie gut es für Chloe und Hannah ist, wenn Sie dabei sind und sie unterstützen.“
Die andere Stimme mit dem verführerischen Akzent gehörte Isandro.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Zoe hörte etwas rascheln. „Nein, das ist viel zu viel … Das kann ich wirklich nicht annehmen.“
„Keine Sorge, ich kann es von der Steuer absetzen. Aber ich möchte, dass es zwischen Ihnen, Chloe und mir bleibt. Ich möchte nicht …“
„Verstehe. Danke! Das werden wir Ihnen nie vergessen.“
Regungslos lag Zoe da. Da sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, dauerte es eine Weile, bis ihr die Bedeutung dieses Gesprächs bewusst wurde. Dann füllten ihre Augen sich mit Tränen. Isandro hatte John gerade das Geld für den Flug nach Boston gegeben – und offenbar mehr als das.
„Das ist wahnsinnig nett von Ihnen!“
Als Isandro sich umdrehte, sah er eine Gestalt aus dem Dunkel kommen – fast wie eine
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