Julia Festival 94
liebevoll aus, als Birdie von unten heraufrief.
„Besuch für dich, Misty!“
In weniger als vierundzwanzig Stunden würde sie Leones Frau sein. Sie betrachtete diese Ehe als Beginn eines heimlichen Feldzugs, der mit Leones totaler Eroberung enden sollte. Er würde sich in sie verlieben, unsterblich verlieben, und nicht wissen, wie es eigentlich dazu gekommen war. Er war nicht der Einzige, der sich raffinierte Pläne ausdenken konnte!
Die Hochzeitsvorbereitungen hatten unter höchstem Zeitdruck stattgefunden. Gleich nachdem Misty in Oxford angerufen hatte, war Birdie mit ihrer Schwester nach „Fossetts“ zurückgekehrt, um dort alles für den großen Tag vorzubereiten. Es war eine stille Genugtuung für Misty, zu beobachten, wie Birdie immer mehr ihre Kräfte zurückgewann, aber auch eine ständige Sorge, dass sie diese Kräfte überschätzte.
Birdie wartete im Flur, als Misty herunterkam. Sie lächelte, aber in ihren blauen Augen lag ein ängstlicher Ausdruck. „Es ist dein Vater“, erklärte sie. „Er wartet im Wohnzimmer.“
Überraschung und Unbehagen kämpften in Misty, als sie hörte, wer der Besucher war. „Oliver Sargent?“, fragte sie. „Er ist wirklich hier?“
„Es spricht für ihn, dass er gekommen ist“, meinte Birdie. „Du solltest versuchen, ebenso großzügig zu sein.“
Ein Blick auf Oliver genügte, um Misty ihre anfängliche Befangenheit zu nehmen. Er hatte seit ihrer letzten Begegnung stark abgenommen, und tiefe Falten ließen sein Gesicht älter erscheinen. Er glich kaum noch dem eitlen, selbstgefälligen Mann, den sie in Schottland kennengelernt hatte.
„Ohne Leone wäre ich nicht hier“, begann er das Gespräch in gezwungenem Ton. „Er hat mich zu diesem Besuch ermutigt, denn ich war nicht sicher, ob du mich empfangen würdest.“
„Bitte setz dich.“
Oliver folgte der Aufforderung und fuhr nach einer angespannten Pause fort: „Ich nehme an, dass du zuerst etwas über meine Beziehung zu deiner Mutter erfahren willst.“
„Ja.“ Misty war erleichtert, dass ihr Vater selbst davon anfing, und setzte sich ihm gegenüber.
„Als wir uns begegneten, war Carrie erst einundzwanzig, aber schon verheiratet und Mutter. An der Universität lernte sie Gleichaltrige kennen und bedauerte schnell, dass sie an einen älteren Mann gebunden war.“
„Hast du sie jemals geliebt?“, fragte Misty ihn direkt.
„Ich hatte sie gern, obwohl ich damals schon mit Jenny verlobt war. Doch Jenny war zu Hause, Hunderte von Kilometern entfernt …“ Oliver rang sich ein Lächeln ab. „Ich will dich nicht belügen. Meine Affäre mit Carrie erschien mir wie ein ungefährlicher Zeitvertreib … für uns beide. Ich wollte nicht wahrhaben, dass es so etwas nicht gibt, und dann war es zu spät.“
„Was meinst du mit … dann?“
„Unsere Beziehung endete, als Carrie zugab, dass sie schwanger war … von ihrem Mann, wie sie glaubte. Erst als Sutton durch einen Bluttest nachweisen ließ, dass er nicht der Vater von dir und deiner Zwillingsschwester sein konnte, kam die Wahrheit heraus.“
„Das muss für euch beide ein großer Schock gewesen sein“, warf Misty trocken ein.
Oliver nickte. „Für mich zählte besonders, dass Carrie ihr Heim verließ und plötzlich mit Sack und Pack vor meiner Tür stand. Obwohl wir uns schon Monate zuvor getrennt hatten, erwartete sie, dass wir unser Verhältnis fortsetzen würden. Es war eine albtraumartige Situation. Ich liebte Carrie nicht und fühlte mich in die Enge getrieben. Vergiss nicht, ich war erst zweiundzwanzig und nicht darauf vorbereitet, Vater zu sein. Ich weigerte mich, dich und deine Schwester im Krankenhaus zu besuchen. Mich quälte nur die Angst, meine Eltern oder Jenny könnten etwas von der Geschichte erfahren. Als deine Mutter meine Einstellung erkannte, zog sie aus. Ich gab ihr eine beträchtliche Geldsumme, und seitdem blieb sie für mich verschwunden.“
„Also hast du weder mich noch meine Schwester nach der Geburt gesehen?“
Oliver schüttelte den Kopf.
Misty war geneigt, diese Tatsache und auch die gezahlte Geldsumme als Entlastung für ihren Vater anzusehen. Sie konnte verstehen, in welcher Zwangslage er sich befunden hatte. Schlau genug, ein bequemes Verhältnis mit einer verheirateten Frau einzugehen, war er noch zu jung gewesen, um die Scherben einer zerstörten Ehe aufzulesen, eine mittellose Frau zu unterhalten und sich zu seiner Vaterrolle zu bekennen.
„Deine Schwester …“ Oliver räusperte sich verlegen.
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