Julia Festival 94
hatte das zu bedeuten?“
Bei der Erinnerung an Misty belebte sich Iones Gesicht. „Ich war in ‚Fossetts‘, wo meine Schwester früher gewohnt hat. Ihre Pflegemutter war nicht da, aber ich sagte, wer ich bin, und bekam Mistys Telefonnummer.“
„Wie hat sie auf deinen Anruf reagiert?“, fragte Alexio neugierig.
„Ich habe noch nicht angerufen. Ich dachte, für heute wäre es zu spät.“
Alexio stöhnte auf und wollte genau wissen, mit wem sie in „Fossetts“ gesprochen und was sie gesagt hätte. „Ist dir nicht klar, dass Misty jetzt wahrscheinlich am Telefon sitzt und auf deinen Anruf wartet?“, fragte er dann. „Solche Dinge behält man nicht für sich. Diese Frau wird Misty mitgeteilt haben, dass du da warst und jetzt ihre Nummer hast.“
Ione wurde unsicher. „Ich rufe gleich morgen früh an.“
Alexio nahm den Zettel mit der Nummer, den er auf dem Wohnzimmertisch bemerkt hatte. Wie war er bloß auf die Idee gekommen, es könnte Yannis’ Nummer sein? Der Fischerjunge gehörte der Vergangenheit an – wie so vieles andere.
Sekunden später saß Ione am Telefon und hielt den Hörer, den Alexio ihr in die Hand gedrückt hatte. „Es ist nach Mitternacht“, protestierte sie. „So spät ruft man nicht mehr an.“
„Du hast nur Angst“, meinte Alexio, „wie Misty wahrscheinlich auch. Los, wähl endlich die Nummer.“
Es hatte kaum geklingelt, da wurde der Hörer am anderen Ende der Leitung abgenommen. „Ja, bitte?“
„Hier spricht Ione Christoulakis“, antwortete Ione langsam. „Bist du Misty?“
„Ja.“ Eine winzige Pause folgte. „Bist du meine Zwillingsschwester?“
„Ja. Ich weiß nicht, was ich sagen soll … jetzt, nachdem ich dich endlich, endlich gefunden habe …“
„Ich bin auch ganz durcheinander“, gestand Misty. „Ich fürchtete schon, du würdest nicht anrufen. Wie konnte Birdies Cousine dich gehen lassen, ohne nach deinem Namen und deiner Adresse zu fragen?“ Mistys Stimme klang immer lauter und aufgeregter. „Würdest du noch heute zu uns kommen, wenn wir einen Sonderflug für dich arrangieren?“
Ione wiederholte die Frage leise auf Griechisch, aber Alexio schüttelte den Kopf. „Heute nicht mehr“, entschied er. „Du bist mit deinen Kräften am Ende. Sag ihr, dass wir morgen früh kommen.“
„Mit wem redest du?“, fragte Misty neugierig. „Und was ist das für eine Sprache?“
Während Ione Mistys ungeduldige Fragen beantwortete und allmählich den Mut gewann, selbst Fragen zu stellen, rückte Alexio den Esstisch näher und futterte Ione mit kleinen Häppchen. Mit der Zeit wurde sie so müde, dass sie gähnen musste. Als ihr schon fast die Augen zufielen, brachte sie es endlich über sich, ihrer Schwester für einige Stunden Lebewohl zu sagen.
„Misty wohnt in einem Schloss“, meinte sie versonnen, während sie sich von Alexio ins Bett tragen und zudecken ließ.
„Ich bin gleich wieder da.“ Alexio ging noch einmal zurück, um die Ringe zu holen, die Ione auf den Wohnzimmertisch gelegt hatte. Er hatte sie gleich bemerkt, aber nichts dazu gesagt.
Ione schlief schon, als Alexio wieder ins Schlafzimmer kam. Er steckte ihr die Ringe an, ohne dass sie davon aufwachte, und schlüpfte neben ihr unter die Decke. Warum es so wichtig für ihn war, dass Ione wieder ihren Ehering trug, hätte er nicht sagen können.
Als der Hubschrauber am nächsten Vormittag auf dem kleinen Landeplatz neben „Eyrie Castle“ aufsetzte, konnte sich Ione vor Aufregung und Vorfreude kaum noch beherrschen.
„Misty wird dich auf den ersten Blick lieben“, versicherte Alexio, während er ihr beim Aussteigen half. „Hast du vergessen, wie gut ihr euch gestern Abend am Telefon verstanden habt?“
Ione hatte nur Augen für die Frau, die auf sie zugelaufen kam, und für ihr strahlendes Lächeln.
„Endlich, Ione! Lass dich anschauen.“ Mistys kupferrotes Haar wehte im Wind, und ihre silbergrauen Augen leuchteten, während sie ihre kleinere, sichtlich befangene Zwillingsschwester betrachtete. „Himmel, wie zierlich du bist … und wie wunderschön!“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Niemand würde uns für Zwillinge halten, aber du gleichst unserer Großmutter väterlicherseits. Dad besitzt ein Porträt von ihr. Sie soll eine viel beachtete Schönheit gewesen sein.“
Ione sah die Tränen in Mistys Augen und hörte die Worte, die sie zum ersten Mal mit ihrer eigenen Familie in Verbindung brachten. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Hatte sie den ersten
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