Julia Festival 94
wirklich gelogen …“
„Schweigen kann auch eine Lüge sein“, unterbrach Jaspar sie hart. „Warum hast du dich nicht als Kinderfrau und Ericas Cousine zu erkennen gegeben? Ich hätte dich mitgenommen, um Benedict den Anfang zu erleichtern.“
Freddy fiel ein, dass Ruth dasselbe gesagt hatte, aber das behielt sie für sich. „Du wärst viel zu empört gewesen, um so einen Gedanken auch nur zu erwägen.“
„Ich lasse mich niemals von Gefühlen leiten“, erwiderte Jaspar bissig, „und bei dir scheint es nicht anders zu sein. Du hast Benedict genauso skrupellos für deine Ziele benutzt wie seine Mutter. Den Kronprinzen von Quamar zu heiraten war eine einmalige Chance für dich. Du hast sie dir nicht entgehen lassen.“
„Das ist nicht wahr!“, verteidigte sich Freddy empört.
„Warum hast du mich dann erpresst?“ Jaspar lächelte verächtlich. „Und warum hast du die Ehe so bereitwillig vollzogen?“
Freddy hielt Ben noch immer in den Armen. Nach dem ausgestandenen Kummer war er drauf und dran einzuschlafen. Freddy schwieg, um ihn nicht zu stören. Nur ihr Blick verriet, wie sehr der ungerechte Vorwurf sie verletzt hatte.
„Erzähl mir nicht, dass du aus Liebe zu Benedict in mein Bett gekommen bist“, fuhr Jaspar unbarmherzig fort. „Oder hast du dich als Opferlamm gesehen? Nein, bestimmt nicht. Aus so edlen Motiven heraus hast du dich mir nicht hingegeben. Aber welche Motive es auch waren … mit meinem Neffen hatten sie nichts zu tun.“
Ein trotziger Ausdruck erschien auf Freddys Gesicht. Jetzt war Jaspar unfair, jetzt verdrehte er alles. Wer hatte sie denn ins Schlafzimmer getragen? Wer hatte sich vor ihren Augen ausgezogen und sie verspottet, weil sie dem Beispiel nicht gleich gefolgt war? Wer hatte ihre Leidenschaft entzündet, ihren Körper erweckt und sie „meine Schöne“ genannt? Er, er und wieder er!
„Ich will mich vor Ben nicht mit dir streiten.“ Mehr sagte sie nicht.
„Ich streite mich nie mit Frauen.“ Jaspar drehte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
Den restlichen Vormittag über hatte Freddy Zeit, Ben wieder mit seinem Lieblingsspielzeug und seinen Lieblingsspielen vertraut zu machen. Er war ungewöhnlich still und anhänglich. Freddy verursachte einen kleinen Aufstand in der Palastküche, weil sie selbst das Essen für ihn zubereiten wollte. Die Küche lag im Keller, erinnerte in ihrer Größe an mittelalterliche Verhältnisse, war aber mit modernsten Geräten ausgestattet und peinlich sauber.
Nachdem Ben gegessen hatte, saß Freddy an seinem Bett, bis er eingeschlafen war. Wie von selbst schweiften ihre Gedanken zu Jaspar und den bitteren Anschuldigungen, die er gegen sie vorgebracht hatte.
Sie war bisher noch nicht dazu gekommen, sich gegen diese Anschuldigungen zu verteidigen, aber eins war klar: Jaspar hielt Habgier für das entscheidende Motiv aller ihrer Handlungen. Konnte sie ihm das übel nehmen? Konnte sie ihm verdenken, dass er sie für eine Hochstaplerin hielt, die auch Sex zur Erreichung ihrer Ziele einsetzte? Schließlich hatte Erica ihre Gunst sehr freizügig gewährt und bedenkenlos Geld angenommen. Sie hatte ihre Liebhaber schamlos ausgenutzt und sich nach Bens Geburt damit gebrüstet, wie gut sie für ihr Schweigen bezahlt würde. Falls Jaspar das wusste, war Freddy jetzt in seinen Augen keinen Hauch besser als ihre Cousine. Eher noch skrupelloser und raffinierter, denn sie hatte sich mittels eines Eherings in die Dynastie von Quamar eingeschlichen!
Nachdem Ben eingeschlafen war, bat sie eine Dienerin, an seinem Bett zu wachen, und machte sich auf die Suche nach Jaspar. Als sie an einem hohen Wandspiegel vorbeikam, blieb sie stehen. Ihr Haar war nicht geordnet, ihr Gesicht nicht zurechtgemacht, und das einfache Baumwollkleid hing formlos an ihr herunter. Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken zurückzugehen und sich umzuziehen, aber dann schüttelte sie unwillig den Kopf. Seit wann kümmerte sie sich um ihre äußere Erscheinung? Jaspar war es ohnehin egal, wie sie aussah.
Der Palast erwies sich als so weitläufig, dass Freddy am Ende einen Diener nach Jaspars Arbeitszimmer fragen musste. Sie wurde vor eine hohe Doppeltür geführt und dort mit einer tiefen Verbeugung allein gelassen. Sie klopfte, wartete einen Moment und trat zögernd ein.
Jaspar stand am Fenster und drehte sich bei ihrem Eintreten um. Ein zornig fragender Blick traf sie. Er hatte das Klopfen gehört und absichtlich nicht
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