Julia Festival 94
wiedersehen würde.
8. KAPITEL
Am nächsten Morgen um acht Uhr landete der Hubschrauber in „Anhara“. Er brachte zwei Passagiere mit – Jaspar und Benedict, der seinem Onkel beide Arme fest um den Nacken gelegt hatte.
„Feddy?“, fragte er zum hundertsten Mal, seit man ihn morgens aus dem Bett geholt hatte. „Ben zu Feddy …“
„Freddy“, verbesserte Jaspar ihn mit bewunderungswürdiger Geduld. „Sie ist hier.“
Das königliche Pflegepersonal hatte vergeblich gerätselt, was mit „Feddy“ gemeint sein könnte. Man hatte sich überall erkundigt, in der Annahme, dass es sich um ein besonderes Spielzeug handle, aber alle Bemühungen waren umsonst gewesen. Hätte Ben nach seiner Mutter gefragt, wäre kein Missverständnis möglich gewesen, aber ein Wort, das auch nur annähernd wie „Mum“ oder „Mummy“ klang, war nicht über seine Lippen gekommen. „Feddy …“ Bens Unterlippe bebte verräterisch, und in seine großen braunen Augen traten Tränen. Wo war der einzige Mensch, nach dem er sich sehnte? Warum hatte man sie getrennt? Jaspar drückte den Jungen behutsam an sich. Ihm fiel ein, wie vertrauensvoll ihm Benedict noch vor zwei Tagen in der Londoner Botschaft entgegengekommen war. Der plötzliche Verlust all dessen, was er kannte, hatte dieses Vertrauen ins Gegenteil verkehrt, und Jaspar war nun doppelt überzeugt, dass sein Vater falsch und verantwortungslos gehandelt hatte.
Freddy hörte den Hubschrauber nicht landen, denn der Palast hatte dicke Mauern. Sie war erst gegen Morgen erschöpft auf einem Diwan eingeschlafen und hatte außer einer Tasse Tee noch nichts zu sich genommen. Unruhig ging sie auf und ab, ohne die kostbaren Marmorfliesen zu beachten, mit denen der Boden ausgelegt war. Warum kam Jaspar nicht zurück? Warum brachte er ihr nicht wenigstens Nachricht von Ben?
Als in der Eingangshalle Schritte zu hören waren, hob sie lauschend den Kopf. Die Tür wurde geöffnet, und Jaspar stand auf der Schwelle. Er wirkte hagerer als sonst, sein Blick war ernst, fast finster. Ob ihr schlechtes Aussehen daran schuld war?
In diesem Moment bemerkte sie den Jungen, den Jaspar vorsichtig absetzte. Ihre Kehle zog sich schmerzhaft zusammen. Sie hatte so fest damit gerechnet, Ben niemals wiederzusehen, dass sie vorübergehend zu keiner Reaktion fähig war.
„Feddy?“, fragte Ben, den Tränen nahe.
Mehr war nicht nötig, um Freddy aufzurütteln. Es waren sechs Meter bis zur Tür, aber sie brauchte nur Sekunden dafür, sank vor Ben in die Knie und nahm ihn in die Arme. Mit tränenerstickter Stimme flüsterte sie ihm tröstende Worte zu, küsste ihn immer wieder und sah dann über seinen Kopf hinweg Jaspar an.
„Dafür werde ich dir nie genug danken können“, sagte sie mit bebender Stimme. „Ich weiß, ich habe so viel Güte nicht verdient, aber um Bens willen nehme ich sie dankbar an.“
„Deine Dankbarkeit interessiert mich nicht.“ Jaspars Blick war kalt. Keine menschliche Regung sprach aus seinen dunklen Augen. „Benedict ist nur hier, weil er dich braucht.“
Freddy senkte den Kopf. „Das verstehe ich.“
„Spiel bitte nicht die Märtyrerin“, sagte Jaspar schneidend scharf. „Du hattest niemals die Absicht, ihn aufzugeben.“
Das war selbst Freddy zu viel. „Ich hätte es getan …“
„Mir kannst du nichts weismachen. Deine eigenen Interessen waren dir immer wichtiger als seine.“
„Das stimmt nicht“, erwiderte Freddy tief verletzt.
„Du warst seine Kinderfrau, nicht sein Vormund. Was hattest du ihm im Vergleich zu der Familie seines Vaters zu bieten? Jung, alleinstehend, ohne sicheres Einkommen … Du hättest nicht das Geringste für ihn tun können.“
„Ich weiß, aber …“ Freddy versagte die Stimme. Sie liebte Ben so sehr. Warum glaubte Jaspar ihr das nicht?
„Benedict ist erst zwei Jahre alt, aber er gehört zu einer Dynastie, die auf eine sechshundertjährige Geschichte zurückblickt“, erklärte Jaspar stolz. „Er braucht und verdient weit mehr, als du ihm jemals hättest geben können. Seine Heimat ist Quamar. Er wird nie nach England zurückkehren.“
„Ich weiß, dass meine Liebe zu Ben für dich nicht zählt.“ Freddy kämpfte um ihre Fassung, aber die Anmaßung, die in Jaspars Worten lag, machte ihr das schwer. Ben war auch Ericas Sohn. Warum sollte ihm das Land seiner Mutter verschlossen sein?
„Du hättest diese Liebe bewiesen, wenn du aufrichtig mit mir gewesen wärst. Aber du hast es vorgezogen, zu lügen.“
„Ich habe nicht
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