Julia Festival 94
würde da keine Ausnahme machen.
„Ich brauche mich meiner Kleidung nicht zu schämen“, wiederholte sie trotzig.
Leone ließ wachsende Anzeichen von Ungeduld erkennen. „Hast du es dir zur Lebensaufgabe gemacht, jeder Bitte von mir zu widersprechen?“
„Du bittest nicht … du befiehlst. Da ich deine Angestellte bin, werde ich trotzdem versuchen, folgsamer zu sein.“
„Ich danke dir vielmals.“
Misty schrieb mit zusammengepressten Lippen ihre Maße auf und schob Leone den Block hin. „Sonst noch etwas?“
„Ist es dir immer so schwergefallen, Anweisungen zu folgen?“
Misty nickte.
„Ich gestehe, dass mich das irritiert.“
Misty verschränkte die Arme. „Steht nächsten Montag sonst noch etwas an?“
„Du wirst in dein Apartment einziehen und anschließend einiges für dein Äußeres tun.“
„Die Geburt der neuen Melissa?“, warf Misty spöttisch ein.
„So etwas Ähnliches. Abends werden wir ausgehen …“
„Wohin?“
„Das habe ich noch nicht entschieden. Noch weitere Fragen?“
Keine, die du beantworten würdest, dachte Misty und stand auf. „Dann kann ich jetzt gehen?“
„Ich bringe dich zum Auto.“
„Das ist nicht nötig.“
Leone öffnete Misty die Tür, brachte sie zum Lift und fuhr schweigend mit ihr hinunter. Eilig, mit halb gesenktem Kopf, durchquerte sie die Halle, wurde auf den Stufen zum Eingang aber noch einmal aufgehalten.
„Was denn noch?“, fragte sie heftig und drehte sich um.
Leone nahm ihre Hände, und dem Blick seiner dunklen Augen konnte Misty sogar im Zorn nicht widerstehen.
„Nicht, Leone …“
Er senkte die Lider, beugte sich tiefer und flüsterte: „Tu nicht so, als würdest du bestraft, amore.“
Misty erbebte am ganzen Körper, als Leone sie in die Arme zog und küsste. Es war ein berauschender Kuss, der sie alles andere vergessen ließ. Leone lockte und verführte sie. Erweckte ihr Verlangen und steigerte es, bis sie sich in glühender Hingabe an ihn drängte.
Misty glaubte zu vergehen. Sie wünschte, der Kuss würde niemals enden, aber Leone schob sie zurück und murmelte mit rauer Stimme: „Eine wirklich überzeugende Darstellung.“
Misty versuchte ihre Beschämung zu überspielen. „Du …“
„Ganz ruhig, amore.“ Ein zufriedenes Lächeln glitt über Leones schmales, dunkles Gesicht.
Misty riss sich gewaltsam los. „Gute Nacht“, stieß sie heiser hervor und eilte die Stufen hinunter.
Es dauerte eine Weile, bis sie sich so weit beruhigt hatte, dass sie wieder klar denken konnte. Wie glücklich war sie gewesen, seit sie Philip und Flash überwunden und sich ein neues Leben aufgebaut hatte! Dieser grässliche Leone Andracchi! Musste er ihren Weg kreuzen und ihr klarmachen, wie viel nur in ihr geschlummert hatte, aber nicht vergessen war? Warum faszinierte er sie so? Warum erlag sie jedem Blick, jeder Bewegung von ihm, obwohl er sie gleichzeitig wütend machte?
Sie durfte nicht vergessen, dass Leone auch nur ein Schauspieler war – ein guter, aber doch ein Schauspieler. Er handelte mit dem Kopf, nicht mit dem Herzen. Ja, er war großzügig, aber auch schnell gelangweilt, zu keiner festen Bindung bereit und völlig unromantisch. Ein Mann, der Geburtstage vergaß und Verabredungen im letzten Moment absagte. Kurz und gut, ein Mann, dem eine vernünftige Frau am besten aus dem Weg ging.
Und sie, Misty, würde das nach Möglichkeit auch tun!
4. KAPITEL
Misty wurde gemäß Leones Plan mit einer Luxuslimousine in „Fossetts“ abgeholt und traf pünktlich in London ein. Während der Chauffeur ihre beiden prall gefüllten Koffer auslud, betrachtete sie das moderne Apartmenthaus, das mit seiner hohen Fassade die Straße überschattete.
Sie hatte die vergangene Woche genutzt, um ihr Geschäft vorübergehend zu schließen, die Bezahlung der Angestellten zu regeln und notwendige Kleinigkeiten zu erledigen. Dabei war so etwas wie Vorfreude in ihr aufgekommen, deren sie sich schämte, ohne sie unterdrücken zu können. Ihr Leben war in letzter Zeit nicht sehr aufregend gewesen, und obwohl sie es bedauerte, nicht mehr so oft mit Birdie zusammen zu sein, begrüßte sie die Abwechslung, die ihre leidvolle Vergangenheit auch in räumliche Entfernung rückte.
Während sie im Lift nach oben fuhr, sah sie ängstlich in den Spiegel, der fast eine ganze Kabinenwand einnahm. Ja, sie hatte Angst, das verrieten ihre Augen und der leicht verzogene Mund. Es fehlte ihr an Selbstachtung, und das nicht erst, seit Philip sie verraten
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