Julia Festival Band 0103
sowieso schon längst wie eine dumme Gans vorkam, berührte sie das nicht weiter. Der andere Vorfall jedoch brachte sie an den Rand der Verzweiflung.
Nachdem Finn Birgitta vor allen Leuten geküsst hatte, war Amber auf die Straße gelaufen, hatte sich ins nächste Taxi gesetzt und sich sofort zu Ursulas Wohnung bringen lassen. Dort angekommen, war sie wie ein gehetztes Tier zusammengebrochen und hatte geweint, bis sie keine Tränen mehr hatte.
Aber sie hätte überhaupt nicht zu fliehen brauchen, denn Finn war ihr nicht gefolgt. Niemand schien sich für sie zu interessieren, niemand kümmerte sich um sie – das war die bittere Erkenntnis, zu der Amber in dieser Nacht kam, die überhaupt kein Ende nehmen wollte.
Zuerst hatte sie noch überlegt, den Telefonstecker herauszuziehen, weil sie sich einredete, an einem Gespräch mit Finn nicht interessiert zu sein. Sie hatte es nicht getan und kam sich dann doppelt betrogen vor, da es kein einziges Mal klingelte.
Amber fand keinen Schlaf, immer wieder malte sie sich aus, was passiert sein könnte, nachdem sie die Party fluchtartig verlassen hatte. Dass der Kuss zwischen Finn und Birgitta kein rein freundschaftlicher gewesen war, hatte sie gesehen. Aber wie nah waren sich die beiden wirklich gekommen? Stundenlang kreisten Ambers Gedanken um ein und dasselbe Bild: Finn und Birgitta eng umschlungen zwischen zerknitterten Laken …
Den Neujahrstag verbrachte Amber im Bett, sie fühlte sich zu elend, um aufzustehen, und nach draußen wollte sie auch nicht. Weder hätte sie den Anblick der Menschen in Feiertagsstimmung ertragen können, noch wollte sie mit ihrer Leidensmiene den anderen die gute Laune verderben.
Am Abend badete sie heiß und trank anschließend eine halbe Flasche Wein. Die Wirkung des Alkohols auf nüchternen Magen und ihre völlige Erschöpfung ließen sie gnädigerweise in einen tiefen, traumlosen Schlaf fallen.
Als der Briefkasten klapperte, wachte sie auf. Ursula bezog zwei Zeitungen: eine seriöse, um sich zu informieren, und ein Skandalblatt, um sich zu amüsieren. Dieses nahm sich Amber als Erstes vor und blätterte es mit bebenden Händen durch. Sie brauchte nicht lange zu suchen.
Für Finn wird die Kirche nun doch nicht zum Laufsteg!
Diese Überschrift sprang ihr sofort ins Auge. Wie Finn das treffen wird, schoss es ihr völlig unzusammenhängend durch den Sinn, da er doch jede Anspielung auf den Beginn seiner Karriere hasst!
Der knackige Finn Fitzgerald, Millionär und Inhaber einer der größten Londoner Modelagenturen, hat sich von der hinreißenden Amber O’Neil getrennt – zwei Wochen nachdem diese in einem Exklusivinterview von Verlobung gesprochen hatte.
Finn, dessen Gespielin die rotblonde Amber zwei Jahre lang war, beendete die Beziehung auf höchst dramatische Weise auf seiner berühmten Silvesterparty. Finn fiel vor den Augen seiner Gäste über Birgitta Lindberg her, die Mutter von Karolina, dem neuesten Starmodel seiner Agentur.
Da Amber auch in der Agentur arbeitet, können wir auf den weiteren Fortgang der Dreiecksgeschichte äußerst gespannt sein.
Wütend knüllte Amber die Zeitung zusammen und warf die Papierkugel in die Ecke. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht und schluchzte hemmungslos.
Zwei Tage später saß Amber apathisch im Sessel und blickte vor sich hin, als sie ein Geräusch an der Tür vernahm. Erschrocken blickte sie auf – es war jedoch nur Ursula, die ihr Reisegepäck mit dem Fuß in den Flur schob. Sie schien zu schwach, es auch nur noch einen Meter weiter tragen zu können.
Überhaupt war Ursula kaum wiederzuerkennen. Ihr sonst so frischer Teint war einer krankhaften Blässe gewichen, und ihr Mund wirkte hart und verkniffen.
„Oh Amber“, begrüßte sie ihre Schwester. „Es tut mir so schrecklich leid.“
Amber stützte den Kopf in die Hände und brach erneut in Tränen aus.
Ursula ließ sie in Ruhe, ging in die Küche, brühte einen Tee auf und machte Toast. Das hatte sie früher schon immer getan, wenn die kleine Schwester Kummer gehabt hatte und die Mutter zu krank gewesen war, um sich um Amber zu kümmern.
Erst als sie das Tablett mit dem dampfenden Tee und dem dick gebutterten Toast auf den Tisch stellte, redete sie Amber an. „Ich konnte es einfach nicht fassen, als ich es in der Zeitung gelesen habe – es will mir nicht in den Kopf.“
Amber schniefte. „Mir geht es nicht anders, obwohl ich gezwungen war, es mit eigenen Augen anzusehen.“
Bekümmert streichelte Ursula Ambers Arm.
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