Julia Festival Band 0105
nicht!“ Jenny blickte ihre Schwester vorwurfsvoll an. „Du hast uns tatsächlich obdachlos gemacht?“
„Nicht ganz.“ Chessie bemühte sich, ruhig und sachlich zu bleiben. „Es ist mir gelungen, ein möbliertes Zimmer in Hurstleigh zu finden. Es ist groß genug für uns beide, wenn auch nicht besonders luxuriös. Die Wirtin gestattet, dass wir es auf unsere Kosten umgestalten.“
„Na toll!“ Jennys Stimme triefte vor Hohn. „Und wie sollen wir das bezahlen, da du ja deinen Job auch aufgegeben hast?“
Chessie zögerte. „Ich werde vorübergehend im White Hart arbeiten. Die Fewstons brauchen eine Küchenhilfe, und außerdem werde ich servieren.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Wir kommen schon zurecht.“
„Zurecht?“, wiederholte das Mädchen. „Du bist total durchgedreht!“
Nein, dachte Chessie, bloß am Ende mit meinem Latein. „Das ist alles, was ich bekommen konnte, Jenny. Es ist ja nicht für immer.“
„Du hattest das hier.“ Jenny deutete auf die Wohnung. „Und du hattest das Ungeheuer. Du wolltest ihn heiraten, verdammt! Was ist passiert?“
„Wir haben beschlossen, uns zu trennen. Also muss ich ausziehen.“
„Mit anderen Worten, er wirft uns raus. Und ich habe gerade angefangen, menschliche Züge an ihm zu entdecken. Aber nein, er ist ein mieses Ungeheuer!“
„Nein, das ist er nicht. Und ich dulde nicht, dass du ihn so nennst. Es war eine gemeinsame Entscheidung. Außerdem warst du nie gern hier.“
„Es ist besser als eine Absteige in Hurstleigh, für deren Miete du dich im Pub abrackerst. Erwarte nicht, dass ich mit dir gehe, Chess. Ich werde Lindas Eltern fragen, ob ich bei ihnen wohnen kann. Linda wird während der Ferien in der Fabrik ihres Vaters als Packerin arbeiten. Es gibt dort auch einen Job für mich, wenn ich will. Ich werde gleich anrufen und zusagen.“
Chessie blieb wie gelähmt am Küchentisch sitzen. Das Zuschlagen der Tür hallte ihr in den Ohren wider. Ihre Zeit auf Silvertrees verrann wie Sand in einem Stundenglas.
Und dann kam auch noch Linnets verdammte Party auf sie zu.
Ihr einziger Trost war, dass die hübsche rothaarige Tochter des hiesigen Parlamentsabgeordneten die Tombola moderieren würde, wie Mrs. Chubb berichtet hatte. Das bedeutete, Chessie würde Sandie Wells nicht kennenlernen.
Chessie hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie am Abend anziehen sollte. Sie würde wahrscheinlich auf das Seidenkleid zurückgreifen müssen. Zweifellos würde Linnet es sofort erkennen und bissige Bemerkungen fallen lassen.
Sandie Wells mochte zwar nicht an der Party teilnehmen, aber Chessie war überzeugt, dass diese Frau Miles’ Gedanken beherrschte. Er war in der letzten Woche außergewöhnlich zerstreut gewesen, und dabei hatte ihn nicht nur das Ende seines Buches beschäftigt. Es standen eindeutig wichtige Entscheidungen bevor, über die er mit ihr nicht reden wollte.
Als Chessie ins Arbeitszimmer kam, stand Miles am Fenster.
„Ich bringe die Post.“
„Leg sie auf den Tisch. Ich kümmere mich später darum“, erwiderte er, ohne sich umzudrehen.
„Du denkst doch an die Party heute Abend, oder?“, erinnerte sie ihn zögernd.
„O ja. Ich möchte sie keinesfalls verpassen. Ich habe übrigens etwas für dich.“ Er holte eine große flache Schachtel hinter dem Tisch hervor und reichte sie ihr.
„Für mich? Soll ich sie aufmachen?“
„Nur wenn du wissen willst, was drin ist.“
Zwischen Lagen aus Seidenpapier entdeckte Chessie cremefarbene Seide. Sie nahm sie heraus und schüttelte sie glatt. Ihr stockte der Atem. Sie hielt ein elegantes Kleid in den Händen: Spaghettiträger, ein enges Oberteil, das in einen bodenlangen, weit schwingenden Rock überging. Eine passende Jacke lag ebenfalls im Karton, sie war schmal geschnitten und hüftlang.
„Es ist deine Größe. Jenny hat es mir bestätigt.“
Hingerissen betrachtete sie das traumhaft schöne Modell. Dann verstaute sie es vorsichtig wieder zwischen dem schützenden Papier.
„Gefällt es dir nicht?“
„Es ist wunderschön, aber ich kann es nicht annehmen“, flüsterte sie.
„Warum nicht? Deine Kündigungsfrist ist noch nicht abgelaufen, wir sind noch immer offiziell verlobt und werden heute Abend einen öffentlichen Auftritt haben. Du wirst es mir zuliebe tragen, Francesca, und wenn ich es dir eigenhändig überziehen muss. Das ist ein Befehl.“
Sie legte den Deckel auf die Schachtel und klemmte sie sich unter den Arm. „Darf ich jetzt bitte gehen, Sir?“
„Ja.“
Weitere Kostenlose Bücher