Julia Festival Band 05
veranstaltet, bei dem alle Dorfbewohner zu einem großen abendlichen Essen zusammenkommen. Wenn du Lust hast, können wir auch hingehen.“
„Wir beide?“, wiederholte Heaven mit glänzenden Augen. Doch plötzlich fiel ihr wieder ein, weshalb sie eigentlich hier war, und die Freude verschwand aus ihrem Gesicht. „Aber bis Weihnachten ist es ja noch eine ganze Woche, und ich kann unmöglich …“
„… eine Woche bleiben“, beendete Jon den Satz für sie. „Ich weiß.“
Heaven biss sich auf die Lippe und sah schweigend zum Fenster hinaus. Sie hatten das Dorf hinter sich gelassen und fuhren jetzt steil bergauf. Die schmale Straße wand sich durch die dick verschneite Hügellandschaft. Glücklicherweise kamen sie mit Jons Wagen gut voran, obwohl die Straßen natürlich nicht geräumt waren.
Heaven merkte, dass sie todmüde war. Sie schloss die Augen und kuschelte sich tief in die bequemen Sitzpolster. Erst als Jon von der Straße in einen Kiesweg einbog, setzte sie sich abrupt auf und rieb sich die Augen.
„Was ist denn das?“, fragte sie entgeistert.
„Mein Zuhause“, antwortete Jon lachend. Heavens Verblüffung bereitete ihm sichtlich Vergnügen.
„Dein Zuhause?“, wiederholte sie ungläubig. „Du meinst, du wohnst hier?“ Staunend betrachtete sie den hohen alten Turm mit den Schießscharten, der vor ihnen aufragte.
„Genau“, lachte Jon. Er stoppte den Wagen vor dem Gebäude, sodass die Sicherheitsbeleuchtung automatisch betätigt wurde. Mehrere Lampen gingen gleichzeitig an und beleuchteten den Turm, dessen sandfarbener Stein warm im Licht schimmerte.
„Aber was ist das für ein Turm?“, fragte Heaven fasziniert. Jetzt entdeckte sie auch, dass die Schießscharten in Wirklichkeit kleine, schmale Fenster waren. Die ganze Anlage musste auf jeden Fall schon sehr alt sein.
„Ein Wachturm“, erklärte Jon. „Die Menschen im Grenzland hatten große Angst vor Überfällen. Sie bauten sich deshalb befestigte Wohnstätten, in die sie sich bei einem Angriff zurückziehen konnten. Meist benutzten sie dafür übrigens Steine vom ‚Hadrian’s Wall‘, fürchte ich. Jedenfalls diente der Turm in erster Linie als Schutz für die Familie, aber auch als Lager für Beutegut und manchmal sogar für Gefangene. Damals befanden sich am Fuß des Turms mehrere Gebäude aus Holz, wo man die Vorräte und andere Lebensmittel aufbewahrte. Ganz oben im Turm wohnte die Familie, denn dort wähnte man sich am sichersten. Außerdem konnte man von ganz oben natürlich sehr weit blicken. An klaren Tagen bis weit über die Grenze hinaus.“
Er betrachtete stolz den Turm. „Lange bevor ich ihn kaufte, wurde dieser Turm renoviert und modernisiert. Irgendwann hielt ich mich zufällig im Ort auf und hörte davon, dass man das Gebäude verkaufen wollte. Mir hat es in dieser Gegend immer gut gefallen, und so ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf. Preiswerter als im Süden Englands war es hier alle Mal.“
„Wenn dieser Turm reden könnte …“, meinte Heaven träumerisch.
„Allerdings“, bestätigte Jon. „Es gibt natürlich auch ein paar interessante Geschichten, die man sich hier in der Gegend erzählt. Zum Beispiel diese: Es geschah in einer nebligen Novembernacht vor vielen, vielen Jahren. Der damalige Bewohner dieses Turms beschloss, den Waffenstillstand mit seinem Nachbarn zu brechen und dessen Vieh zu stehlen. Als er die Farm erreichte, stellte er fest, dass sich dort nur die siebzehnjährige Nichte des Farmers aus Edinburgh aufhielt. Also stahl er sie zusammen mit dem Vieh. Womit er nicht gerechnet hatte, war der Umstand, dass sie ihm mit ihrer Schönheit und ihrem liebreizenden Wesen völlig den Kopf verdrehte. Wundersamerweise verliebte sie sich aber auch in ihn, sodass aus der Entführung nicht eine blutige Familienfehde, sondern schließlich eine Hochzeit wurde.“
„Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende“, sagte Heaven lachend.
„Zweifelst du etwa daran?“, gab Jon, ebenfalls lachend, zurück. Er stieg aus und öffnete Heaven die Beifahrertür.
Als sie ihm zum Turm folgte, drückte sie sich instinktiv an ihn. Angst hatte sie nicht – natürlich nicht. Aber irgendwie war alles so unheimlich … Heaven stieß einen leisen Schrei aus, als in dem Efeu, das die Mauer bedeckte, etwas raschelte.
„Keine Angst, das ist nur eine Eule“, sagte Jon beruhigend und nahm ihre Hand. Er schloss die Tür auf und knipste das Licht an. Hand in Hand betraten sie die geräumige
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