Julia Festival Band 05
erklärte Jon. „Das darfst du nicht vergessen. Was glaubst du, wie albern er vermutlich vor den Amerikanern dagestanden hat! Ich nehme an, dass seine Leute mich noch ein paar Tage beobachten werden. Wahrscheinlich halten sie sich hier irgendwo in der Nähe auf. Aber bald wird ihnen das zu langweilig sein, und dann werden sie wieder abziehen. Allerdings solltest du dich in den nächsten paar Tagen unbedingt im Turm oder in der unmittelbaren Umgebung aufhalten. Alles andere wäre zu gefährlich“, warnte er sie. „Ich fürchte, der Einkaufsbummel fällt also erst mal ins Wasser.“
Liebevoll nahm er sie in den Arm. Plötzlich stutzte er. „Warte mal … Da war doch noch …“ Er ging mit großen Schritten zu den Einbauschränken, die sich an der gegenüberliegenden Wand befanden, und zog eine Tür auf.
„Dachte ich’s mir doch“, rief er triumphierend. Als er einen Schritt zur Seite trat, erblickte Heaven eine Reihe von Frauenkleidern, die ordentlich auf ihren Bügeln hingen.
„Ich weiß natürlich nicht, ob dir irgendetwas passt, aber du kannst gerne alles anprobieren, was du magst“, erklärte er fröhlich.
Aber Heaven hatte sich schon umgedreht, damit er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie stand wie versteinert da. In ihrem Hals fühlte sie einen Kloß, und sie fürchtete, jeden Moment in Tränen auszubrechen. Wie hatte sie nur so dumm sein können, sich in schwärmerischen Tagträumen zu verlieren, ohne die Wirklichkeit zu sehen? In Gedanken gemeinsame Zukunftspläne zu schmieden und sich für die glücklichste Frau der Welt zu halten?
Dabei gehörte Jon offensichtlich zu jener Sorte Mann, die das völlig anders sah. Wie sonst war es zu verstehen, dass er ihr ohne Skrupel einen Schrank voller Kleider irgendwelcher Vorgängerinnen präsentierte? Vermutlich hatten sie auch mit ihm das Bett geteilt …
„Was ist los?“, fragte Jon ratlos. Er war ehrlich verwirrt über Heavens plötzlichen Stimmungsumschwung. Was er für eine gute Idee gehalten hatte, schien auf einmal genau das Gegenteil zu sein.
„Du glaubst doch nicht im Ernst, ich würde die Sachen einer anderen Frau anziehen“, erklärte sie frostig.
Jon runzelte verwirrt die Stirn. „Eine andere Frau?“ Und dann dämmerte ihm, was in Heaven vor sich ging. „Ich bin sicher, Louisa hätte nichts dagegen“, sagte er sanft.
„Louisa? Du meinst, die Kleider sind von deiner Schwester?“ Aus jedem Wort von Heaven sprach Erleichterung.
„Allerdings“, bestätigte Jon. „Sie ist zwar bei Weitem nicht so zierlich wie du, aber vielleicht ist ja doch etwas Passendes dabei. Und im Übrigen“, fügte er schmunzelnd hinzu, „bist du neben Louisa und ihren Mädchen die einzige Frau …“ Er unterbrach sich, als unten in der Halle das Telefon zu läuten begann. „Ach, zum Kuckuck!“, rief er ungeduldig. „Immer im unpassenden Moment. Es ist wohl besser, wenn ich drangehe. Ich erwarte einige wichtige Anrufe wegen Harold.“
Er war so schnell verschwunden, dass Heaven nicht mehr fragen konnte, wie der Satz weitergehen sollte. Ob sie die einzige Frau war, die er jemals in seinen Turm eingeladen hatte?
Ich sollte aufhören, mir über so etwas Gedanken zu machen, überlegte Heaven. Wer weiß, was er sagen wollte. Es ist nicht gut, zu viel in seine Worte hineinzulesen.
Seit ihrem ersten Zusammentreffen hatte Jon sie fasziniert. Als dann all die hässlichen Dinge mit Harold passiert waren, waren ihre Gedanken an Jon natürlich erst einmal in den Hintergrund gerückt. Aber die vergangene Nacht und ihr Zusammensein an diesem Morgen hatten bewiesen, dass nichts verloren, sondern nur für eine Weile verschüttet gewesen war. Bis zum richtigen Augenblick.
Es war kein flüchtiges Abenteuer, das sie mit Jon verband. Keine Begegnung, die sich auf erotische Höhenflüge beschränkte. Kein plötzlicher Virus, der ging, wie er gekommen war. Nein, letzte Nacht war ihr die Stärke ihrer Gefühle für Jon in vollem Umfang bewusst geworden. Er war der Mann ihres Lebens, ihre große Liebe. Der Mann, neben dem sie jeden Morgen aufwachen und mit dem sie Kinder haben wollte. Der Mann, dessen Leben mit allen Höhen und Tiefen sie teilen wollte. Aber dachte er genauso?
„Es tut mir leid, wenn du dich langweilst“, entschuldigte sich Jon, als er das Wohnzimmer betrat. Heaven war gerade dabei, das letzte Eckteil eines Puzzles zu suchen, das sie in einem Schrank gefunden hatte.
Es stellte eine viktorianische Familie beim Weihnachtsfest dar. Die Szene wirkte mit
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