Julia Festival Band 05
Ray beobachtete Joan verstohlen, jedoch sehr aufmerksam über den Tisch hinweg.
Lucy fragte sich, ob Joan das wohl merkte und wenn ja, wie sie dazu stehen mochte. Vermutlich kam Joan überhaupt nicht auf die Idee, dass er an ihr interessiert sein könnte, da sie absolut nicht eitel war und sich von ihm eher eingeschüchtert fühlte.
Lucy betrachtete sich nicht unbedingt als Kupplerin. Aber es gab keinen Grund, warum sie sich nicht alle besser kennenlernen sollten, oder? „Du hast bis jetzt noch nicht viel von dir erzählt, Bobby Ray“, bemerkte sie wie beiläufig, während sie ein Stück Lasagne aufspießte. „Stammst du ursprünglich aus Little Rock?“
„Ich bin in Prescott aufgewachsen. Bin vor fünfzehn Jahren nach Little Rock gezogen, um der Familie meiner Frau näher zu sein.“
Wie schade, dachte Lucy. „Deiner Frau?“, fragte sie unschuldig weiter.
Er nickte. „Andrea. Sie ist vor fünf Jahren an Krebs gestorben. Sie war gerade mal zweiunddreißig.“
„Oh, das tut mir leid“, murmelte Lucy, und dasselbe Gefühl spiegelte sich auf allen Gesichtern wider.
„Du hättest sie gemocht“, murmelte Bobby Ray. „Sie war ein Energiebündel. Irgendwie erinnerst du mich an sie.“
„Ich fasse das als Kompliment auf“, sagte sie lächelnd.
„So war es auch gemeint.“
Lucy fiel auf, dass Joan auf ihren Teller starrte, aber dem Gespräch dennoch verstohlen lauschte. „Ihr habt keine Kinder?“
Er schüttelte den Kopf. Sein Blick verdüsterte sich ein wenig. „Wir haben uns beide ein ganzes Haus voll gewünscht, aber es war uns nicht vergönnt.“
„Kinder sind ein Segen“, stimmte Pop zu. „Meine Annie und ich haben vier eigene großgezogen und ein paar dazu, die wir im Laufe der Zeit aufgenommen haben. Ich sage nicht, dass wir nie Probleme mit ihnen hatten, aber die guten Zeiten entschädigen für die schlechten Zeiten, stimmt’s, Annie?“
„Aber ja“, bestätigte sie. „Das Schlimmste war, als wir unseren Ältesten vor zwanzig Jahren durch einen Autounfall verloren. Dadurch haben wir gelernt, jeden Moment mit unseren Lieben zu genießen und keine Sekunde als selbstverständlich zu betrachten.“
„So sehe ich es auch“, bemerkte Lucy. „Wahrscheinlich, weil ich meine Mutter verloren habe, als ich noch sehr klein war. Ich habe meine Angehörigen immer sehr geschätzt, auch wenn ich meine Cousins manchmal hätte würgen können – und es ein paar Mal versucht habe“, fügte sie lachend hinzu.
„Mein Bruder macht mich manchmal auch ganz wütend“, meldete Tricia sich eifrig zu Wort. „Er nennt mich ‚Doofkopp‘ und versteckt meine Puppen.“
„Dafür hast du mein Modellflugzeug kaputt gemacht“, konterte Tyler hitzig. „Und du bist echt ein Doofkopp.“
„Bin ich gar nicht!“
„Bist du doch!“
Joan räusperte sich, und augenblicklich verstummten die Kinder und beschäftigten sich wieder mit dem Essen.
Bobby Ray lachte. „Das Geräusch hat meine Mom auch immer gemacht, wenn ich unartig war. Sie brauchte kein Wort zu sagen. Ein Blick von ihr reichte, und mein Bruder und ich wussten, dass wir dran waren. Die winzige, zierliche Frau konnte toll den Rohrstock schwingen.“
Tricia blickte ihn mit großen Augen an. „Was ist denn ein Rohrstock?“
„So was gab es früher mal“, berichtete Bobby Ray schmunzelnd. „Der Stock wurde längst durch andere Methoden ersetzt, aber seinerzeit war er sehr effektiv.“
Pop grinste. „Da kann ich nur beipflichten. Meine Grandma war die Stockschwingerin in der Familie, und wir lernten sehr schnell, es uns nicht mit ihr zu verderben.“
„Im Kindergarten kriegen wir traurige Smileys, wenn wir unartig sind“, erzählte Tricia eifrig. „Wer drei davon hat, darf in der Pause nicht nach draußen zum Spielen. Ich habe im ganzen Jahr nur einen gekriegt“, prahlte sie, „und das war nämlich, weil Kevin Perkins mich gekniffen hat, und da musste ich ihn anschreien, wo ich eigentlich einer Geschichte zuhören sollte.“
Lucy musste über die empörte Miene der Kleinen lächeln. „Kevin Perkins klingt wie ein ganz gemeiner Kerl.“
„Nee, ist er gar nicht“, widersprach Tricia energisch. „Ich hab ihm gesagt, dass er mein Freund sein kann, wenn er nett zu mir ist, und jetzt kneift er mich nicht mehr.“
Die Erwachsenen lachten – außer Joan, die stöhnte und den Kopf schüttelte.
„Wenn sie älter wird, wirst du alle Hände voll zu tun haben, um die Jungs in die Flucht zu schlagen“, murmelte Bobby Ray
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