Julia Festival Band 05
keine Erklärung mehr dafür ein. Schließlich gab er es auf, darüber nachzudenken. Er genoss es, in seinem breiten Sessel zu sitzen, während Mrs. Claus, eine grauhaarige Frau mit randloser Brille, die Kinder zu ihm führte. Auf seinem Thron im Kaufhaus fühlte er sich weitaus wohler als hinter seinem Schreibtisch im Büro. Die Kinder schauten vertrauensvoll zu ihm auf, und Tim hörte ihnen geduldig und aufmerksam zu, wenn sie davon erzählten, was sie gern unter dem Weihnachtsbaum vorfinden würden.
Mithilfe seines fotografischen Erinnerungsvermögens machte Tim sich in Gedanken Notizen und katalogisierte die verschiedenen Spielzeuge, die immer wieder in den Erzählungen der Kinder auftauchten. Während er sich mit Leib und Seele seiner Aufgabe widmete und sich vom weihnachtlichen Zauber einfangen ließ, verlor er jegliches Zeitgefühl.
Deshalb konnte er sich auch nicht genau daran erinnern, wann ihm der blonde Junge zum ersten Mal auffiel, der ihn unentwegt beobachtete. An einen Tresen gelehnt stand der Junge da und schaute Tim mit einem wissenden Blick an, als hätte er das Märchen vom Weihnachtsmann längst durchschaut. Tim schätzte ihn auf sechs Jahre. Der Junge schien ohne Begleitung im Kaufhaus zu sein.
Mit sechs Jahren sollte man seine Fantasiewelt eigentlich noch nicht verloren haben, dachte Tim. Er selbst hatte sehr lange an den Weihnachtsmann geglaubt, um wenigstens an diesem Überbleibsel aus der Kindheit festzuhalten.
Nachdem Tim dem blonden Mädchen auf seinem Schoß versprochen hatte, dass der Weihnachtsmann ihr jeden Wunsch erfüllen würde, kletterte es zufrieden herunter. Tim schaute zum wiederholten Mal zu dem Jungen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte. Mrs. Claus lächelte ihm freundlich zu.
„Bitte?“, fragte Tim irritiert.
„Der Weihnachtsmann darf jetzt eine Pause machen“, teilte sie ihm mit, woraufhin ein enttäuschtes Raunen durch die Reihen der Kinder ging.
„Ich bin gleich zurück“, versprach Tim ihnen mit einem Augenzwinkern.
Als er sich von seinem Sessel erhob, klopfte er sich mehrmals auf den Bauch. Das Kissen unter seinem Mantel war von den vielen Kindern, die auf seinem Schoß gesessen hatten, einigermaßen flachgedrückt worden. Nun musste er es unauffällig wieder in Form bringen. Er verließ das Podium, um zu dem Jungen hinüberzugehen, der seine Aufmerksamkeit erweckt hatte. Der Junge sah Tim aus klaren, blauen Augen an. Sein Blick war trotzig und herausfordernd.
„Hallo“, sagte Tim mit einem breiten Lächeln, das seinen Bart verrutschen ließ.
Bevor der Junge antwortete, musterte er Tim von oben bis unten. „Hallo“, erwiderte er schließlich gleichgültig oder sogar fast feindselig. Dann vergrub er die Hände in den Hosentaschen und wandte sich ab. Tim hätte wetten können, dass die kleinen Hände sich zu Fäusten geballt hatten. Es interessierte ihn, den Grund dafür zu erfahren.
Ohne überheblich zu klingen, fragte Tim: „Weißt du, wer ich bin?“
Der Junge nahm einen Spielzeugtruck aus dem Regal und prüfte, ob die Reifen sich bewegten. „Ja“, sagte er. „Irgendjemand, der vorgibt, der Weihnachtsmann zu sein.“
Tim wusste, dass es zwecklos sein würde, das Gegenteil zu behaupten. Dieser Junge hatte sich sein Urteil bereits gebildet. „Nun ja, er ist zu dieser Jahreszeit sehr beschäftigt. Da braucht er Leute, die ihn unterstützen.“
Nun stellte der Junge den Truck ins Regal zurück. Als er Tim anschaute, wirkte er plötzlich sehr viel älter. „Nein, das ist nicht wahr.“
„Das ist nicht wahr?“, wiederholte Tim, der um eine sinnvolle Antwort verlegen war.
Die Lippen des Jungen zogen sich zu einer schmalen Linie zusammen. „Nein. Er existiert gar nicht.“
Da die Unterhaltung nun sehr ernste Formen annahm, beugte Tim sich zu dem Jungen hinab. „Wirklich nicht?“, fragte er.
Wut und Schmerz spiegelten sich in dem Gesicht des Jungen wider. „Natürlich nicht. Wusstest du das noch nicht?“
„Wie alt bist du?“, erkundigte sich Tim, während er sich fragte, was diesen Jungen so hart gemacht hatte.
Der Junge stellte sich auf die Zehenspitzen. „Sechs.“
Er war für einen Sechsjährigen sehr klein. „Und du glaubst nicht an mich … an den Weihnachtsmann?“
„Nein.“ Diesmal jedoch schwang eine leichte Unsicherheit in seiner Stimme mit.
„Bist du dir absolut sicher?“, fragte Tim freundlich.
Wieder vergrub der Junge seine Hände in den Hosentaschen, als würde ihm das Kraft geben. „Ja.“
Tim konnte
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