Julia Festival Band 05
nur dazusitzen und zuzuhören … und für die Kamera zu lächeln.“
Und meine Notizen werde ich machen, fügte Tim im Stillen hinzu, während er an Gerald vorbeiging.
Tim nahm die nächstgelegene Rolltreppe zur Spielzeugabteilung. Die Kinder, die er unterwegs traf, lächelten ihn an oder winkten ihm zu. Als Tim ihnen freundlich zuwinkte, überkam ihn eine seltsam fröhliche Stimmung. Mit der Perücke, dem Bart, dem Mantel und den Stiefeln wog er mindestens fünfzehn Pfund mehr als sonst, dennoch fühlte er sich freier und leichter. Er winkte einem kleinen Mädchen zu, das er auf höchstens drei Jahre schätzte. Aus großen, begeisterten Kinderaugen starrte sie ihn an. Es war ein wundervolles Gefühl. Eine solche Hochstimmung hatte er seit Langem nicht mehr erlebt.
Schließlich rief er sich den eigentlichen Zweck seines Tuns hier in Erinnerung. Er spielte den Weihnachtsmann nicht zum Spaß oder aus einer Laune heraus. Nein, er war hergekommen, um eine Untersuchung anzustellen.
„Das hier ist Ihr Platz“, sagte Gerald überflüssigerweise, während er auf den thronähnlichen Sessel deutete, der auf einem Podium stand. Alles war mit rotem Samt dekoriert. Neben dem Sessel war eine Elfenhütte aufgebaut, in der sich die Kamera befand. Fotos von Kindern auf dem Schoß des Weihnachtsmanns kosteten sechs Dollar.
Alles hat eben seinen Preis, dachte Tim plötzlich ein wenig traurig. Aber wenn es nicht so wäre, hätte er auch keine Arbeit.
„Ich kann mir gar nicht erklären, warum Jack so plötzlich verschwunden ist“, sagte Gerald mit gedämpfter Stimme. „Er ist seit fünf Jahren unser Weihnachtsmann.“ Mit einem skeptischen Blick auf Tims Taille fügte er hinzu: „Und er brauchte sich den Bauch auch nicht auszustopfen.“
Nein, dachte Tim, aber er brauchte die dreihundert Dollar, die ich ihm gezahlt habe, damit er mir den Job abtritt. Zusätzlich hatte Tim ihm noch seinen üblichen Lohn versprochen. Das hatte Jack schließlich überzeugt. An dem Lohn, den das Kaufhaus zahlte, war Tim nicht interessiert. Er wollte aus anderen Gründen in die Rolle des Weihnachtsmanns schlüpfen.
„Jack hat eine Blinddarmentzündung“, erklärte Tim geistesgegenwärtig. Immerhin war es möglich, dass Jack den Job im nächsten Jahr wieder brauchte. Tim brauchte ihn zwei Wochen lang, damit er seine Marketinguntersuchung abschließen konnte.
„Oh. Na ja …“ Gerald fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Es ist ein Glück, dass Sie für ihn einspringen können.“
„Dafür sind Neffen doch da“, erwiderte Tim. Er hatte sich Gerald als Jacks Neffe vorgestellt, der seinem Onkel einen Gefallen tun wollte. Der Trick hatte funktioniert.
Ein kleiner Junge mit dunklem Haar hatte sich von der Hand seiner Mutter losgerissen und schaute Tim nun argwöhnisch an. „Bist du der Neffe vom Weihnachtsmann?“, fragte er erstaunt.
„Ich?“ Tim räusperte sich und senkte seine Stimme. „Nein, ich bin der Weihnachtsmann. Ich habe nur gerade von meinem Neffen erzählt.“
Der Junge zog die Mundwinkel nach unten. „Ich wusste gar nicht, dass der Weihnachtsmann einen Neffen hat.“
„Aber sicher.“ Tim winkte den Jungen näher zu sich heran, während Gerald sich unauffällig zurückzog. „Reden wir doch lieber über dich, einverstanden?“ Der Junge ließ sich bereitwillig von Tim auf den Schoß nehmen. „Was soll ich dir denn zu Weihnachten bringen?“
In den nächsten drei Stunden hörte Tim aufmerksam zu, was die Kinder ihm erzählten. Dabei machte er völlig neuartige Erfahrungen. Wenn er vorher vermutet hatte, er würde sich den Kindern gegenüber reserviert verhalten, so hatte er sich getäuscht. Tim fühlte sich ausgeglichen und entspannt, als wäre dies die Aufgabe, für die er bestimmt war. Allerdings nicht als Tim Holt, Präsident der Holt Enterprises, einer Marketingfirma, die sich innerhalb von sechs Jahren zu einem führenden Unternehmen auf diesem Gebiet entwickelt hatte. Und schon gar nicht als Marktforscher, der herausfinden wollte, was sich die Kinder selbst, nicht ihre Eltern, zu Weihnachten wünschten.
Tim hatte das Gefühl, er gehöre hierher … als Weihnachtsmann?
Es muss an den Mottenkugeln liegen, überlegte er. Tim war davon überzeugt, dass sein eigenartiges, euphorisches Gefühl nur von einer Chemikalie verursacht sein konnte, mit der das Kostüm behandelt wurde, bevor es zwölf Monate lang im Karton verschwand.
Dieses Hochgefühl verstärkte sich noch, je länger er seine Rolle spielte. Tim fiel
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