JULIA FESTIVAL Band 76
Schlaf.“
„Ich sollte jetzt gehen“, sagte er.
„Das brauchst du nicht.“ Sie presste seine Hand gegen ihre Wange. „Ich habe ein Gästezimmer. Ich weiß, wie sehr du das große Haus hasst.“
„Du solltest mir nicht vertrauen. Ich habe mich sehr verändert.“
Was konnte er ihr noch antun? Er hatte ihr doch schon das Herz gebrochen. „Das mag sein. Aber du kannst trotzdem bleiben.“
Sie führte ihn über den kurzen Hausflur. Im Gästezimmer standen ein Bett, ein alter Schrank und eine Kommode.
„Danke“, sagte er. „Ich weiß es zu schätzen. Ich würde wirklich nicht gern in das Haus zurückkehren.“
Jenny holte Laken und eine Wolldecke aus dem Schrank im Flur, während Chase sein Gepäck hereintrug. Verlegen und ohne Blickkontakt wünschten sie einander eine gute Nacht.
Danach lag Jenny im Bett, lauschte dem Rauschen der Dusche und fragte sich, warum sie so verrückt gewesen war, Chase bei sich aufzunehmen. Wenn ihr Vater es erfuhr … Jenny konnte sich vorstellen, was für eine Moralpredigt er ihr halten würde. Sie starrte auf den Lichtstreifen unter der Tür. Wenn William Jackson starb, würde Chase fortgehen. Und das wäre vermutlich das Ende des Stahlwerks, von dem fast ihre gesamte Familie lebte.
Ihre Angehörigen hatten damals vor elf Jahren zu ihr gehalten. Jetzt war sie es, die ihnen helfen konnte. Sie durfte sie nicht im Stich lassen.
Sie und Chase waren einmal die zwei Hälften eines Ganzen gewesen. Jetzt waren sie nur noch zwei Menschen, die einander vor langer Zeit geliebt hatten.
Chase sah aus dem Fenster. Der eben noch schwarze Himmel wurde erst grau, dann hellblau. Er war unerwartet schnell eingeschlafen, aber um fünf Uhr morgens aufgewacht und hatte seitdem unaufhörlich an seinen Vater und an Jenny denken müssen.
Er hörte ihren Wecker summen und dann die leisen Schritte, als sie ins Badezimmer ging. Sie war nie ein Morgenmensch gewesen. Er konnte sich an ihren Campingausflug erinnern. Er war bei Sonnenaufgang aufgestanden und hatte Fische für das Frühstück gefangen. Als er sie dann weckte, um ihr stolz seinen Fang zu präsentieren, schrie sie so laut auf, dass er die Fische vor Schreck ins Feuer fallen ließ.
O Jenny, dachte er. Könnten wir die Zeit doch zurückdrehen und noch einmal von vorn anfangen …
Er fluchte leise. Warum konnte er die Vergangenheit nicht ruhen lassen? In Phoenix war es leicht gewesen, sie zu vergessen, aber hier gab es zu viele Erinnerungen.
Chase schwang die Beine aus dem Bett. Es war kalt, und er zog hastig die Jeans an. Er hatte nicht mehr ausgepackt, als er brauchte. Im Schrank hing sein Hemd. Als er ihn öffnete, kam ihm Jennys Duft entgegen.
Er begehrte sie noch immer.
„Nein!“, knurrte er und warf das Hemd aufs Bett. Sobald sein Vater wieder gesund war, würde er nach Phoenix zurückkehren. Hier in Harrisville gab es keine Zukunft für ihn.
Er hatte ihre Augen gesehen, als sie ihm vom Stahlwerk und seiner Belegschaft erzählt hatte. Sie war ein Teil dieser Stadt geworden. Was immer sie sagte, ihr Leben drehte sich um Harrisville und ihre Familie.
Die Badezimmertür öffnete sich, und er hörte, wie Jenny in die Küche ging. Chase nahm seinen Kulturbeutel und verließ das Gästezimmer.
Im Bad lag ein großes T-Shirt auf dem Boden. Ein Tropfen Make-up zierte das Waschbecken. In der Luft lag der Duft von Seife und Parfüm.
Nachdem er geduscht hatte, band er sich die Armbanduhr um. Ihm blieb noch genug Zeit, bis Dr. Martin mit ihrer Visite begann.
Im Gästezimmer wartete Jenny auf ihn. Überrascht blieb er in der Tür stehen.
„Ich habe dir Kaffee gebracht“, sagte sie und zeigte auf den dampfenden Becher auf der Kommode.
„Danke.“ Er warf den Kulturbeutel aufs Bett.
Sie sah ihn an, als er näherkam. Sie trug eine Jeans, die ihre hinreißende Figur betonte. Ihr Anblick erregte ihn, und ihr Lächeln vertrieb jeden finsteren Gedanken.
„Hast du gut geschlafen?“, fragte sie mit leiser, ein wenig heiserer Stimme.
„Ja. Und du?“
„Ich auch.“ Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe.
Er legte die Hände auf ihre Schultern. „Jenny“, flüsterte er.
Ein Teil seines Verstands warnte ihn. Jenny zu berühren, sie zu küssen, würde zu nichts als Problemen führen. Er war nur wegen seines Vaters hier. Wenn er sich jetzt in der Vergangenheit verlor, würde er vielleicht in die Gegenwart zurückfinden. Er und Jenny waren zu verschieden geworden. Er hatte ihr nicht verziehen. Sie gehörte zur Stadt
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