JULIA FESTIVAL Band 84
Nacht“, sagte sie leise und eilte davon, bevor er auf andere Gedanken käme.
„Sarah …“
Das heisere, flehentliche Flüstern griff ihr ans Herz. Sie hörte manches darin, was sie selbst empfand. Vieles war ihr so nahe, so erreichbar gewesen. Sie hätte nur zugreifen müssen. Tieftraurig blickte sie auf Ben. Er hielt ihr die Arme entgegen, bis er sie langsam hinuntersinken ließ.
„Gute Nacht, Sarah.“
Es hörte sich endgültig – wie ein Abschied – an. Sarah erwiderte nichts. Sie eilte auf ihr Zimmer. Tränen strömten ihr aus den Augen, als sie verzagt den Kopf ins Kissen schmiegte. Zwischen ihr und Ben war etwas Besonderes gewesen, ein so tiefes Gefühl, wie sie es bei Julian nie verspürt hatte. Das Herz tat ihr bei dem Gedanken weh, was sie mit Ben hätte haben können, wenn ihnen vom Schicksal mehr Übereinstimmung mitgegeben worden wäre.
6. KAPITEL
Sarah schlief sehr lange. Als sie erwachte, wünschte sie sich, noch länger zu schlafen oder am liebsten gar nicht aufgewacht zu sein. Sie scheute sich, ihren Eltern zu begegnen, die Ben offensichtlich so sehr mochten. Und sie scheute sich noch mehr, Ben wiederzusehen und den seelischen Stress ertragen zu müssen. Außerdem stand ihr am nächsten Tag ein weiteres Treffen mit der gehässigen Frances Chatfield bevor, und danach? Ein absolutes Nichts. Eine einsame Zukunft …
Sei doch nicht so niedergeschlagen, sagte sie sich, als sie widerwillig das Bett verließ. Wer weiß, was die Zukunft für dich bereithält? Wenigstens brauchst du dich nicht mehr Julian unterzuordnen …
Seltsam, sie verspürte nicht das leiseste Bedauern, dass es ihn für sie nicht mehr gab. Dabei hatten seine und ihre Zukunftspläne so gut übereingestimmt, und auch sonst waren sie in vielen Dingen der gleichen Ansicht gewesen.
Aber vielleicht spielten gleiche Interessen und Übereinstimmung gar keine so große Rolle. Vielleicht war es wichtiger, wie zwei Menschen aufeinander reagierten. Oberflächlich betrachtet, passten sie und Ben nicht zusammen. Doch sie fühlte sich geborgen bei ihm.
Andererseits wusste sie nicht, ob sie ihn wirklich liebte. Doch sie wünschte sich … Sarah verdrängte diese Gedanken, bürstete energisch das Haar und legte ein wenig Make-up auf. Dann zog sie bequeme Hosen und einen losen Pulli über und ging in die Küche.
Dort bereitete Martha Woodley das typische Sonntagsessen zu. „Entschuldige meine Verspätung, Mom“, sagte Sarah. „Ich frühstücke nicht mehr, sondern trinke nur einen Kaffee.“
„Kein Wunder, dass du so dünn bist!“ Besorgt schüttelte Martha den Kopf.
„Nicht dünn, Mom, nur modisch schlank. Wo sind übrigens die anderen?“
„Dein Vater zeigt Ben die Stadt.“ Martha schaute ihre noch immer ledige Tochter bedeutungsvoll an. „Er ist sehr nett, Sarah, und er fügt sich großartig ein, wie einer von der Familie.“
„Ja, ja“, bestätigte Sarah spöttisch.
Ihre Mutter ließ nicht locker. Lang und breit wies sie auf Bens Vorzüge hin, erwähnte dessen Heiratsantrag jedoch nicht. Aber worauf sie hinauswollte, verstand Sarah eindeutig.
Sie war beinahe froh, als ihr Vater und Ben zurückkamen. Doch nur, bis ihre und Bens Blicke sich begegneten. Nichts hatte sich geändert. Sie begehrten einander immer noch. Aber sie hatte alles gründlich durchdacht und war sich darüber klar, dass sie ihn nicht heiraten durfte. Sie würden beide unglücklich werden.
Wie sie die nächsten zwei Stunden überstand, wusste sie nicht. Jeder Nerv in ihrem Körper kribbelte, wenn Ben sich ihr nur näherte. Sie konnte sich auf kein Gesprächsthema konzentrieren, und auch Ben fiel es offensichtlich schwer. Zum Glück hatten ihre Eltern viel zu erzählen und machten keine Bemerkungen darüber, wie oft die beiden schwiegen.
Gedankenverloren nahm Sarah das Mittagessen zu sich und räumte anschließend das Geschirr ab. Allerdings fiel ihr, weil sie so nervös und aufgeregt war, ein Teller aus den Händen. Als Ben ihr half, die Scherben aufzusammeln, zitterte sie so sehr, dass sie sich leicht in den Finger schnitt. Sofort nutzte sie die Gelegenheit, ins Bad zu flüchten, angeblich um die winzige Wunde zu versorgen. In Wirklichkeit wollte Sarah sich nur ein bisschen beruhigen.
Da ihre Eltern am Sonntagnachmittag stets in ihren Kegelclub gingen, machten sich Sarah und Ben auch gleich auf den Heimweg. Sie konnte gar nicht früh genug fortkommen, denn sie musste Ben so schnell wie möglich Lebewohl sagen, weil eine Beziehung zwischen ihnen
Weitere Kostenlose Bücher