Julia Festival Band 86
arme Frau.“
„Wie bitte?“ Joe runzelte die Stirn. „Gibt es vielleicht noch etwas, das ich wissen sollte?“
„Die Ehrlichkeit gebietet mir, dir zu sagen, dass die Signorina überhaupt nicht attraktiv ist. Sie ist blass und sehr dünn.“
„Bist du sicher, dass sie Italienerin ist?“
Nonna lachte. „Natürlich. Sie hat in Firenze kochen gelernt.“ Ihr Lächeln verschwand. Seufzend zog sie den Stöpsel aus dem Becken und trocknete sich die Hände an der Schürze ab. „Sie hat – wie heißt es noch? – ihre besten Jahre schon hinter sich. Sie ist nicht jung, Joseph, nicht jung.“
„Solange sie kochen kann, spielt das keine Rolle.“
„Und sie wird dich auch vollkommen in Ruhe lassen“, verkündete sie und sah ihn an. „Ich weiß, wie sehr dich die Frauen bestürmen. Aber die Signorina wird es ganz bestimmt nicht tun.“
„Angesichts ihres Alters …“
„Sie mag keine Männer.“
„Wie schön.“
„Nein, Joseph. Ich meine …“ Sie kam etwas näher. „Sie mag keine Männer.“
„Heißt das …?“ Nein, so deutlich konnte er seiner Großmutter gegenüber nicht werden. „Heißt das, sie mag absolut keine Männer?“
„Genau.“ Nonna stemmte die Hände in die Hüften. „Ist das nicht eine perfekte Lösung? Sie wird kein Problem für dich, und du wirst keins für sie. Und ich kann beruhigt sterben, weil ich weiß, dass du vernünftig isst.“
„Du wirst noch lange nicht sterben, du altes Schlitzohr.“
„Ich bin nur eine liebende Großmutter, die ihrem Enkel etwas schenkt“, antwortete sie lächelnd. „Möchtest du noch einen Espresso?“
„Ich muss leider aufbrechen. Ein Bekannter feiert heute …“ Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass er das Wort Junggesellenabschied besser vermied. „Er gibt eine Party bei sich zu Hause in Nob Hill, und ich habe versprochen zu kommen.“
„Na, dann wünsche ich dir viel Spaß.“
„Danke.“ Joe zog sein Jackett an, legte den Arm um seine Großmutter und ging mit ihr zur Tür. „Ich hab dich lieb, Nonna.“
„Ich dich auch, mein Junge. Und vergiss nicht, deine neue Köchin wird morgen Früh vor deiner Haustür stehen.“
„Ich freue mich schon auf sie. Wie hieß sie doch gleich?“
„Luciana Bari.“
„Richtig, Luciana Bari aus Florenz“, erwiderte er und küsste sie zum Abschied. „Sie scheint perfekt zu sein.“
„Sie ist perfekt“, sagte sie im Brustton der Überzeugung.
In dem luxuriösen Badezimmer eines Hauses in Nob Hill stand Lucinda Barry vor dem Spiegel und fragte sich, warum das Schicksal ihr das angetan hatte.
Lucinda Barry von den Barrys aus Boston, den auf der May flower eingewanderten Barrys, den finanziell ruinierten Barrys. Lucinda Barry, die von der Ostan die Westküste gezogen war und den Männern für immer abgeschworen hatte, nach dem sich ihr Verlobter wegen eines dummen, aber reichen Mädchens von ihr getrennt hatte.
Lucinda Barry, deren Vermieter ihr wegen Mietrückständen fristlos gekündigt hatte. Die einen Schnellkurs im Kochen bei Chef Florenze an der San Francisco School of Culinary Arts belegt hatte. Die morgen ihren ersten Job als Köchin bei einem einfühlsamen, charmanten, homosexuellen Gentleman antreten sollte, der hoffentlich zu nett war, um festzustellen, dass sie eigentlich nur Wasser kochen und erstaunlicherweise ein erstklassiges Eis zubereiten konnte.
„Ich kann es nicht tun“, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu.
Natürlich kannst du es. Du hast keine Wahl.
Das Mädchen, das eigentlich aus der Torte hatte springen sollen, war plötzlich an einer Lebensmittelvergiftung erkrankt.
„Nicht durch unser Essen“, hatte Florenze kühl erklärt, als die junge Frau von Sanitätern abtransportiert wurde. Dann hatte er sich kritisch unter den Kursteilnehmern umgesehen, die an diesem Abend ihre Prüfung ablegen sollten, und schließlich auf sie, Lucinda, gezeigt. „Sie machen es!“
„Nein“, hatte sie protestiert und gesagt, dass sie keine Stripteasetänzerin, sondern eine Köchin wäre. Woraufhin der Koch mit einem unfreundlichen Lächeln erwidert hatte, dass sie es erst wäre, wenn er ihr das Zeugnis ausgehändigt hätte.
„Miss Barry!“ Energisch klopfte Florenze an die Tür. „Was, in aller Welt, machen Sie so lange?“
Lucinda zuckte zusammen und warf erneut einen Blick in den Spiegel. Wie schwer würde es sein, die weiße Kochkleidung gegen ein goldfarbenes Diadem, zwei Mokkatassen und einen paillettenbesetzten Tanga zu tauschen und aus einer künstlichen
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