Julia Festival Band 86
„homosexuell“, gesagt? Er ermahnte sich zur Ruhe. Das konnte nur ein Missverständnis sein. „Sie glauben doch nicht, ich …? Sie können unmöglich glauben, ich …“
Lucinda betrachtete sein blasses Gesicht und wünschte, sie könnte ihre Worte zurücknehmen. In welch schwierige Lage hatte sie sich nur gebracht! Wieso hatte sie nicht daran gedacht, dass er sich vermutlich noch nicht „geoutet“ hatte und es nicht schätzte, wenn jemand die Wahrheit erfuhr?
„Ihre Neigungen gehen mich überhaupt nichts an. Wenn Sie sich noch nicht dazu bekannt haben, können Sie sich darauf verlassen, dass ich …“
„Ich muss mich zu nichts bekennen.“
Sie sah, wie er rot wurde.
„Meine Großmutter kann nicht gesagt haben … Sie kann nicht meinen …“
„Ich wahre Ihr Geheimnis, wenn …“
„Verflixt!“ Joe wandte sich ab und strich sich durchs Haar. Einen Moment später drehte er sich ihr wieder mit grimmiger Miene zu. „Denkt sie wirklich, das sei der Grund, warum ich nicht heirate? Weil ich … weil ich …?“
„Weil Sie homosexuell sind?“
„Das bin ich nicht, verdammt noch mal! Ich finde daran nichts Schlimmes, aber ich bin es nicht!“
„Reden Sie nicht in dem Ton mit mir. Sie mögen zwar ein arroganter, nichtsnutziger Mistkerl sein, aber ich habe Ihnen gesagt, dass Ihr Privatleben allein Ihre Sache ist.“
„Sie haben verflixt recht!“, brüllte er. Er presste die Lippen zusammen, schloss die Augen und zählte bis zehn, bevor er Lucinda wieder anblickte. „Hören Sie“, fuhr er dann ruhig fort, „ich weiß nicht, wie meine Großmutter auf den Gedanken gekommen ist, aber ich versichere Ihnen, dass ich ein ganz normaler Mann bin. Ich mag Frauen. Ich liebe Frauen. Ich möchte nicht angeberisch klingen, aber etwa die Hälfte aller attraktiven Frauen in San Francisco können meine … Manneskraft bezeugen.“
„Wie Sie meinen, Mr. Romano.“
Joe zählte erneut bis zehn. Und während er bis zwanzig zählte, fragte er sich, wie hoch man wohl für den Mord an seiner Großmutter bestraft würde.
Sie können sie bezeugen, hätte er am liebsten gesagt. Doch was würde es ihm bringen? Lucinda war lesbisch. Wenngleich er nicht verstand, wie sie vorhin in seinen Armen so hatte reagieren können.
Er hob sein T-Shirt auf und streifte es sich über. „Ich bin ein ganz normaler Mann und es schon immer gewesen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht ganz nachvollziehen kann, wie man sich für das gleiche Geschlecht interessieren kann.“ Du bewegst dich auf gefährlichem Terrain, dachte er und atmete tief durch. „Solche Beziehungen erscheinen mir widernatürlich. Was selbstverständlich nicht heißt, dass ich Ihre Neigungen verurteile.“
Lucinda blickte ihn verwirrt an. „Wie bitte?“
„Ich bin heterosexuell. Was Sie sind, ist allein Ihre Sache.“
„Wie bitte?“
„Sie sind, was Sie sind. Schluss, aus, Ende.“
„Ich … bin Köchin.“
Spöttisch verzog er den Mund. „Sicher.“
„Mir missfällt, wie Sie das sagen“, erwiderte sie kühl. „Ich bin Köchin, egal, was Sie glauben.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich werde Ihnen mit Vergnügen mein Zeugnis unter die Nase halten, bevor ich gehe, Romano, denn dieser Job kann mir gestohlen bleiben.“
Dann drehte sie sich um und verließ energischen Schrittes die Küche. Joe folgte ihr langsam.
„Das ist prima!“, rief er, als sie auf der Treppe war. „Denn ich will keine Frau wie Sie in meinem Haus. Sie sind entweder die tollpatschigste Stripteasetänzerin oder die stümper hafteste Köchin auf der ganzen Welt. Und vergessen Sie, dass ich gesagt habe, es sei okay, was Sie sind. Ich weiß zwar, dass es heutzutage nicht politisch korrekt ist, jemanden für irgendetwas zu verurteilen, aber offen gestanden, Miss Barry, finde ich, dass Frauen, die sich für Frauen interessieren …“
„Wie bitte?“ Lucinda wirbelte herum. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. „Was haben Sie gesagt?“
„Sie haben mich sehr wohl verstanden.“ Angewidert wandte er sich ab. „Nonna“, fuhr er leise fort, „warte nur, bis ich … Oh!“
Ihre Faust traf ihn im Rücken. Joe drehte sich um, packte Lucinda und schüttelte sie. „Ich bin es leid …“, stieß er wütend hervor und verstummte, als er ihre bestürzte Miene bemerkte. Er sah die grünen Augen, den sinnlichen Mund und musste unwillkürlich daran denken, wie weich er sich angefühlt hatte. Er erinnerte sich an ihre lustvollen Seufzer, an ihren vor
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