JULIA FESTIVAL Band 97
Wagen gesetzt.
Was sollte sie ihm bloß sagen? Wie viele Lügen wollte er ihr noch auftischen?
Melissa, die auf den Balkon geeilt war, kehrte mit enttäuschter Miene zurück. „Man kann den Fahrer von hier nicht sehen. Meinst du, er ist es?“
„Falls du von deinem Großvater sprichst, ja“, antwortete Helen angespannt. „Hast du nichts Passenderes anzuziehen? Zum Beispiel Shorts?“, fügte sie dann hinzu.
„So laufe ich doch nicht rum“, erklärte Melissa verächtlich. „Und lass deine schlechte Laune gefälligst nicht an mir aus. Es ist nicht meine Schuld.“
Helens Zorn verflog sofort wieder. „Es wäre mir nur lieber, wenn du nicht immer Schwarz tragen würdest.“
„Das ist eben hip“, sagte Melissa lässig, während sie zur Tür ging. „Ich sehe mal nach, was unten los ist. Ich möchte nämlich nicht, dass die alte Hexe uns einen Strich durch die Rechnung macht.“
„Bleib, wo du bist.“ Helen eilte ihr nach und umfasste ihr Handgelenk. „Du verlässt diesen Raum nicht allein.“ Sie atmete tief durch. „Und pass auf, wie du über die Frau deines Großvaters redest. Hör auf, dich wie eine billige Kopie deiner Großmutter zu benehmen.“
Daraufhin errötete ihre Tochter leicht. „Ich hab keine Ahnung, wieso du sie verteidigst“, sagte sie leise. „Schließlich hat sie dein Leben zerstört, oder?“
„Schon möglich.“ Nach kurzem Zögern gab Helen nach. „Ich mache mich schnell frisch, und dann gehen wir beide nach unten und bringen es hinter uns.“
Melissa krauste die Stirn. „Du freust dich nicht gerade darauf, oder?“
„Nein, wirklich nicht.“
„Weil dein alter Herr dich angelogen hat?“
„Genau.“ Helen nahm ihre Handtasche vom Bett, um ihren Kamm zu suchen. „Wie sehe ich aus?“
Widerstrebend musterte Melissa sie. „Nicht schlecht für eine Frau in deinem Alter“, räumte sie ein. „Milos findet dich sowieso cool.“
Nun errötete Helen. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass sie sich über die letzten Worte ihrer Tochter freute. „Gehen wir, bevor ich es mir anders überlege.“
3. KAPITEL
Bevor Helen jedoch die Tür öffnen konnte, klopfte jemand an. Prompt krampfte ihr Magen sich zusammen.
„Wer ist da?“, fragte sie, aber Melissa ergriff einfach die Initiative und machte auf.
Helen erkannte den Mann, der im Flur stand, sofort. Er war groß und schlank, hatte dichtes, grau meliertes Haar und hagere Züge und wirkte genauso angespannt, wie sie sich fühlte. „Helen“, brachte er hervor. „Verdammt, ich hätte euch selbst abholen sollen, statt Milos zu schicken! Ich habe so lange auf diesen Augenblick gewartet. Verzeihst du mir, dass ich Angst davor hatte, es zu vermasseln?“
Sie war wie erstarrt. Nun stand er tatsächlich vor ihr, und all die Jahre schienen einfach vergeudet.
„Nun sag doch etwas“, rief er rau. Offenbar hatte er ihr Schweigen falsch verstanden.
Daraufhin trat Melissa einen Schritt vor. „Hallo“, begrüßte sie ihn und betrachtete ihn dabei kritisch. „Ich bin Melissa Shaw, deine Enkelin.“ Sie machte eine Pause und blickte Helen an. „Mum fällt es schwer, sich an dich zu erinnern.“
„Das ist nicht wahr“, begann Helen schnell, um nicht alles zu verderben, bevor ihr Vater und sie die Chance hatten, einander neu kennenzulernen.
Sam Campbell ließ sie allerdings nicht ausreden. „Ich könnte es ihr auch nicht verdenken“, erklärte er schroff. „Ich bin wirklich nicht stolz darauf, dass ich alles so habe schleifen lassen.“ Dann atmete er tief durch. „Es ist so schön, dich wiederzusehen – euch beide . Es war dumm von mir, Sheila all die Jahre die Fäden ziehen zu lassen.“
Sie zögerte. „Es ist nicht alles deine Schuld“, sagte sie und ignorierte dabei, wie Melissa die Augen verdrehte. „Ich war wohl zu stur. Ich wollte dir nicht zuhören.“
„Und jetzt willst du es?“
Helen machte eine hilflose Geste. „Ich bin … älter“, erwiderte sie. „Als du gesagt hast, du seist krank …“
Eine hektische Röte stieg ihm ins Gesicht. „Das stimmte nicht …“
„Das weiß ich inzwischen.“
„Hat Milos es dir erzählt?“
„Nein. Maya.“ Helen beobachtete, wie ihr Vater die Lippen zusammenpresste. „Ich habe den Eindruck, dass wir ihr nicht willkommen sind.“
Sam schüttelte den Kopf. „Es ist mein Haus, nicht ihres.“ Nervös schob er die Hände in die Hosentaschen. „Macht es einen Unterschied, dass ich dich belogen habe?“
Nun hob sie die Schultern. „Ja, natürlich. Aber
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