JULIA FESTIVAL Band 97
hören, denn sie war barfuß. In einem von Rheas Pyjamas stand sie an der Terrassentür, und er fragte sich, wie lange sie ihn schon beobachtete.
„Hallo.“ Er versuchte, seine schlechte Stimmung zu verdrängen, und stand von dem Liegestuhl auf. „Was tust du hier?“
„Ich konnte nicht schlafen.“ Zaghaft machte sie einen Schritt auf ihn zu. „Kann ich mich ein bisschen zu dir setzen?“
Milos deutete auf den Liegestuhl neben seinem. Nachdem sie darauf Platz genommen hatte, sagte er: „In der Kühlbox da drüben sind Dosen mit Orangensaft, falls du Durst hast.“
„Nein danke.“ Sie lehnte sich zurück und streckte die nackten Beine aus. „Es ist schön. Ich dachte, hier draußen wären viele Mücken.“
„Warte ab“, meinte er trocken, bevor er sich wieder setzte. „Also, warum konntest du nicht schlafen? Machst du dir Sorgen um deine Großmutter?“
„Ich glaube schon.“ Sie zuckte die Schultern. „Glaubst du, sie wird wieder gesund?“
Er wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen, aber auch keine unnötige Angst. „Bestimmt.“ Ihm fiel ein, dass sie erst vor weniger als einem Jahr mit dem Tod eines Mannes hatte fertig werden müssen, den sie immer für ihren Vater gehalten hatte. „Heutzutage können Ärzte wahre Wunder bewirken.“
Melissa schniefte. „Glaubst du? Hoffentlich hast du recht.“ Sie zögerte kurz und fuhr dann fort: „Sie liebt mich, weißt du. Gran, meine ich. Und außer ihr und Mum habe ich niemanden.“
Milos empfand tiefes Mitgefühl für sie. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Er wünschte, ihm wären nicht die Hände gebunden. „Es gibt viele Menschen, denen du wichtig bist. Was ist mit deinem Großvater?“
„Sam?“ Nachdem sie einen Moment lang nachgedacht hatte, schüttelte sie den Kopf. „Nein, es gibt nur Mum und Gran“, erklärte sie. „Ich finde Unfälle schrecklich, du nicht? Sie passieren ohne Vorwarnung. Man … man bekommt nur einen Anruf aus dem Krankenhaus.“
Milos seufzte. Ihm war klar, dass er in den sauren Apfel beißen musste. „Es ist bestimmt schwer für dich“, sagte er sanft. „Nach allem, was mit … mit deinem Vater passiert ist.“
„Du meinst Richard. Richard Shaw war nicht mein Vater“, erwiderte sie kaum hörbar. „Er hat es mir mindestens zwei Jahre vor seinem Tod erzählt.“
14. KAPITEL
Es war nach zehn, als Helen nach Hause kam. Die Besuchszeit im Krankenhaus war zwar schon lange vorbei, aber sie hatte noch eingekauft, damit etwas zu essen da war, wenn ihre Mutter entlassen wurde.
Die Krankenschwester hatte ihr erzählt, dass ihre Mutter vermutlich in wenigen Tagen nach Hause kommen würde. Sie habe zwar immer noch starke Schmerzen, doch ihre Kopfwunde heile gut und auch der gebrochene Arm und die Schnittwunden und Prellungen seien nicht lebensbedrohlich.
Zuerst hatte sich Helen ein ganz anderes Bild geboten. Sheila war bewusstlos gewesen, als man sie ins Krankenhaus einlieferte, und man hatte schwere Schädelverletzungen befürchtet. Außerdem hatte die Kopfwunde stark geblutet, was nach Aussage der Ärzte allerdings nicht ungewöhnlich war. Der Anblick ihrer Mutter hatte jedenfalls Helens schlimmste Befürchtungen bestätigt.
In den letzten Tagen hatte ihr Zustand sich jedoch erheblich gebessert. Sobald Sheila das Bewusstsein wiedererlangte, stellte sich heraus, dass ihre Verletzungen weniger ernst waren als angenommen. Innerhalb kürzester Zeit begann sie, die Krankenschwestern herumzukommandieren, und verlangte eine Sonderbehandlung. So war sie über die Verlegung von der Intensivstation in ein normales Krankenzimmer richtig erbost gewesen.
An diesem Abend hatte man Helen geraten, alles für die Rückkehr ihrer Mutter vorzubereiten. Die Krankenschwester hatte ihr außerdem empfohlen, sich eine Woche freizunehmen, falls sie berufstätig sei, um ihr bei der Eingewöhnung zu Hause zu helfen.
Das bedeutete, dass sie nicht wieder nach Santonos fliegen konnte. Eigentlich hätte sie froh darüber sein müssen, denn ihr Verhältnis zu Milos war zu kompliziert geworden. Am Krankenbett ihrer Mutter hatte sie genug Gelegenheit gehabt, sich Sorgen um die Zukunft zu machen. Obwohl sie mehr Zeit mit ihrem Vater verbringen wollte, war es vermutlich klüger, keine Versprechen zu machen, die sie nicht halten konnte.
Als Helen in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel suchte, hatte sie das Gefühl, dass jemand hinter ihr stand. Sie wirbelte herum, bereit, ihre Einkaufstüte als Waffe einzusetzen, falls es sein
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