JULIA FESTIVAL Band 97
dass Richard sich stets geweigert hatte, die Verantwortung für Melissas Verhalten zu übernehmen. Während er nach außen hin Einigkeit vortäuschte, hatte er ihr gegenüber nie einen Zweifel daran gelassen, dass er ihr die Schuld an Melissas Haltung gab.
Konnte es wirklich stimmen? Hatte Richard Melissa erzählt, dass sie das Ergebnis einer Affäre ihrer Mutter vor oder sogar während der Ehe mit ihm war?
Helen ging zu Milos und legte sich ihre Worte sorgfältig zurecht. „Woher … woher weißt du das?“ Sie atmete tief durch. „Das heißt natürlich nicht, dass ich dir glaube. Aber wer sollte dir so etwas erzählen?“
„Was meinst du denn?“
Nervös blinzelte sie. „Doch nicht etwa … meine Mutter?“
„Von wegen!“ Offenbar war er ihre Fragen jetzt leid. „Melissa war es. Sie hat es mir gesagt.“
„Nein!“ Entgeistert sah sie ihn an. Dann kam ihr ein anderer, genauso beunruhigender Gedanke. „Warum hätte sie das tun sollen?“
Langsam atmete Milos aus. „Jedenfalls nicht aus dem Grund, den du vermutest“, erwiderte er ausdruckslos. „Und, ja, ich war wirklich versucht, ihr zu sagen, wer ihr Vater ist.
Aber ich konnte es nicht. Das ist deine Aufgabe.“
Plötzlich fühlte Helen sich ganz benommen. Melissa wusste Bescheid. Sie wusste, dass sie nicht Richards Tochter war. Wann hatte ihr verstorbener Mann es ihr eröffnet? War Melissa womöglich deswegen so schwierig geworden?
„Hat sie dir auch erzählt, wann er es ihr gesagt hat?“, erkundigte Helen sich nun und bewies damit, dass sie Milos doch glaubte.
„Vor etwa zwei Jahren.“ Er zog den Reißverschluss seiner Lederjacke hinunter und stützte das Kinn in die Hände. „Er hat ihr eingeschärft, dir gegenüber kein Wort verlauten zu lassen.“
„Aber warum?“, rief sie verzweifelt. „Warum hätte er so etwas tun sollen?“
„Aus Bitterkeit? Oder aus Eifersucht? Melissa meinte, er hätte ihr damit gedroht, euch zu verlassen, falls sie dir gegenüber auch nur eine Andeutung machen würde.“ Resigniert zog er eine Augenbraue hoch. „Er scheint ja ein bemerkenswerter Typ gewesen zu sein.“
Helen schüttelte den Kopf. „Zuerst war er gut zu mir. Als Melissa ein Baby war, wirkte er glücklich.“
„Und, warst du es?“ Milos blickte sie an. „Hast du dich nie gefragt, wie es hätte sein können, wenn wir zusammengeblieben wären?“
Daraufhin lachte sie spöttisch. „Als hätte das zur Debatte gestanden!“
„Ach, und warum nicht?“ Er stand auf und schob den Stuhl zur Seite. „War ich so ein hoffnungsloser Kandidat?“
„Mach dich doch nicht lächerlich!“ Helen wandte sich ab, unfähig, ihn anzusehen, während es sie innerlich zerriss. „Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie du reagiert hättest, wenn ich dich angerufen und dir erzählt hätte, dass du Vater wirst.“ Sie versuchte, seine Stimme nachzuahmen: „Was? Das Kind kann nicht von mir sein. Ich habe ein Kondom benutzt. Willst du mich etwa reinlegen?“
Milos stieß einen bitteren Laut aus. „Du hast ja eine hohe Meinung von mir.“
„Ich hatte .“ Wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass es jetzt nicht mehr der Fall war. „Aber meine Meinung ist nicht wichtig. Nicht mehr.“ Wieder neigte sie den Kopf. „Weißt du, ich dachte immer, du würdest für meinen Vater arbeiten.“
„Spielt das denn eine Rolle?“
Er stand nun hinter ihr. Sie spürte seinen Atem im Nacken und seine Körperwärme. Unwillkürlich erschauerte sie.
„Was glaubst du?“, fragte sie, verzweifelt bemüht, die Fassung zu wahren. Und um ihn abzulenken, fuhr sie fort: „Du hast mir immer noch nicht erzählt, warum Melissa sich dir anvertraut hat. Ich wusste nicht, dass ihr beide euch so nahe steht.“
„Oh, nach meiner Rückkehr aus Athen haben wir uns besser kennengelernt“, informierte Milos sie leise, während er ihr über die Schultern strich. „Als ich erfahren habe, dass du nach England zurückgekehrt bist, wollte ich die Gelegenheit nutzen.“
„Darauf wette ich“, bemerkte Helen bitter und hörte, wie er scharf einatmete.
„Kannst du es mir verdenken?“ Er ließ die Finger zu ihrem Nacken gleiten. „Es passt dir vielleicht nicht, aber Melissa und ich verstehen uns sehr gut.“
„Dass mein Vater dich ermutigt hat, überrascht mich“, sagte sie. „Fand er es nicht seltsam, dass du Zeit mit ihr verbringen wolltest?“
Milos seufzte. „So war es nicht. Ich bin unter dem Vorwand, dass ich Rhea sehen wollte, zum Weingut gefahren. Sie war
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