JULIA FESTIVAL Band 97
bereit. Aber sie würde sich nicht noch einmal dazu hinreißen lassen, ihre Gefühle hemmungslos zu zeigen.
Er kam näher, und sie musste sich beherrschen, nicht zurückzuweichen. „Ich möchte mit Ihnen nicht über meine Ex-frau reden“, erklärte er schließlich. „Warum sie mich verlassen hat, hat mit der Sache, um die es hier geht, nichts zu tun.“
„Dann hatte ich offenbar recht“, stellte sie mutig fest. „Sie sind genauso wie Maria und Ihre Mutter. Die Castellis glauben wohl, sie könnten nie etwas falsch machen.“
„Das ist doch Unsinn“, fuhr er sie ärgerlich an und kam noch näher. „Gina und ich haben uns nicht wegen meiner hohen Anforderungen oder Ideale getrennt. Oder sind Sie der Meinung, es wäre zu viel verlangt, dass ich von meiner Exfrau erwartet habe, sie würde in meinem Bett statt in den Betten anderer Männer schlafen?“
Tess flüchtete sich hinter die Küchentheke. Sie schämte sich. „Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich unglücklich. „Ich hätte die Bemerkung nicht machen dürfen.“ Als er schwieg, fügte sie hinzu: „Ich musste mich gegen die Anschuldigungen Ihrer Mutter so sehr wehren, dass ich immer noch mit innerer Abwehr reagiere.“ Es sollte so etwas wie ein Scherz sein.
Castelli kniff die Lippen zusammen. „Das können Sie wirklich gut. Ich meine, sich wehren. Sie täuschen sich jedoch, ich habe nicht so eine hohe Meinung von mir, wie Sie mir gerade unterstellt haben.“
„Ach ja?“ Offenbar kann ich nicht mit ihm reden, ohne ihn zu provozieren, dachte sie und nahm die Weinflasche in die Hand. Sie tat so, als interessierte sie sich für das Etikett. In Wahrheit wollte sie sich nur ablenken, um nicht auf seine erotische Ausstrahlung zu reagieren.
„Sie haben bei meiner Mutter wohl das letzte Wort behalten“, vermutete er.
Es fiel Tess schwer, ihren Ärger so schnell zu vergessen. Doch über seine Mutter zu sprechen war immerhin ein relativ unverfängliches Thema.
„Sie hat sich ziemlich aufregt“, gab sie zu und suchte in der Schublade nach einem Korkenzieher, um Raphael nicht ansehen zu müssen. „Ich habe ihr angeboten, sich in das Büro hinter dem Ausstellungsraum zu setzen, damit sie sich beruhigen konnte. Irgendwann ist sie einfach verschwunden und hat noch nicht einmal die Hintertür zugemacht.“
„Sie hat sich aufgeregt?“, wiederholte er ungläubig. „Das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich, meine Liebe. Lucia regt sich eigentlich nie auf, es sei denn, sie bezweckt etwas damit.“
„Vielleicht wollte sie eine Zeit lang allein sein.“ Tess fand den Korkenzieher. „Ich bin mir natürlich nicht völlig sicher, aber ich glaube, sie hat Ashleys Schreibtisch durchwühlt.“
„Nein, das halte ich für unmöglich“, protestierte Castelli schockiert. „Lucia hat viele Fehler, das ist mir klar. Doch eine Diebin ist sie nicht.“
„Das wollte ich damit auch nicht andeuten.“ Sie seufzte. „Ich vermute, sie hat etwas Bestimmtes gesucht.“
„Was denn?“
Sie zuckte die Schultern, während sie versuchte, die Flasche zu öffnen.
„Lassen Sie mich das machen.“ Er nahm ihr die Flasche und den Korkenzieher aus der Hand. „Was genau meinen Sie?“
Tess wich zurück und ließ Raphael die Flasche öffnen. In der winzigen Küchenzeile war kaum Platz für sie beide, und er war ihr viel zu nah. Doch sie konnte nicht an ihm vorbeikommen, ohne ihn zu berühren. Und das wollte sie auf gar keinen Fall.
Um sich abzulenken, betrachtete sie seine Hände. Dennoch war sie sich seiner kräftigen Arme und seiner muskulösen Brust, über der sich das Hemd spannte, viel zu sehr bewusst.
Er war ungemein attraktiv und ungemein männlich. Es war ganz normal, dass sie so heftig auf ihn reagierte. Sie wünschte sich, er würde sie berühren, und sogleich richteten sich ihre Brustspitzen auf. Rasch verschränkte sie die Arme, um ihre Reaktion zu verbergen. Ihr Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. Auf einmal merkte sie, dass Raphael noch immer auf eine Antwort wartete. „Ich könnte mir vorstellen, Ihre Mutter hat Hinweise auf Ashleys Aufenthaltsort gesucht. Vielleicht hat sie gedacht, ich hätte etwas übersehen“, sagte sie.
Castelli zog den Korken aus der Flasche und stellte sie auf die Theke. „Hat sie etwas gefunden?“
„Nicht, dass ich wüsste“, erwiderte Tess vorsichtig. „Warum? Haben Sie den Eindruck, sie hätte etwas gefunden?“
Er machte eine abwehrende Handbewegung. „Natürlich nicht. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie
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