JULIA FESTIVAL Band 97
Teufel, reden Sie? Ich wusste gar nicht, dass Sie meine Mutter kennen.“
Tess war skeptisch. Doch er sah sie so überrascht an, dass sie ihm schließlich glaubte. „Sie war heute in der Galerie. Ich habe gedacht, das hätte sie Ihnen erzählt.“
„Nein, das hat sie nicht.“
„Es tut mir leid. Ich habe angenommen, nur deshalb seien Sie hier.“
Castelli gestikulierte resigniert mit der Hand. „Klar. Weshalb sonst?“ Er durchquerte das Wohnzimmer und blickte zum Fenster hinaus auf die Lichter des Hafens.
Tess biss sich auf die Lippe. Vielleicht ist er ja wirklich nur gekommen, um mich zu sehen, überlegte sie. Doch dieser Gedanke war zu gefährlich. Sie verdrängte ihn rasch wieder.
Da Raphael ihr den Rücken zukehrte, konnte sie ihn in aller Ruhe betrachten. Sie ließ den Blick über seine breiten Schultern gleiten, die durch das eng anliegende schwarze Hemd betont wurden. Seine schwarze Hose saß perfekt, und man ahnte, wie muskulös seine Beine waren. Sie bekam Herzklopfen und wünschte, er wäre wirklich nur ihretwegen hier. Doch plötzlich begriff sie, was er wollte.
„Es gibt Neuigkeiten“, stellte sie fest. „Haben Sie herausgefunden, wo Ashley und Ihr Sohn sich befinden?“
Raphael drehte sich zu ihr um und schob die Hände in die Hosentaschen. „Nein“, antwortete er ruhig und mit ausdrucksloser Miene. „Verdicci hat in Genua bis jetzt noch kein Glück gehabt. Falls Ihre Schwester einen Wagen gemietet hat, muss sie einen falschen Namen benutzt haben.“
„Oh.“ Tess schluckte. „Ist das überhaupt möglich?“
„Ja, wenn sie einen Komplizen hat. Wissen Sie, ob sie in San Michele Freunde hat?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ashley hat nie jemanden erwähnt. Sie wohnt erst seit neun Monaten hier. In der relativ kurzen Zeit hat sie vermutlich noch keine guten Freunde gewonnen.“
„Außer Marco.“ Er seufzte frustriert. „Erzählen Sie mir bitte, was meine Mutter gesagt hat. Sie wollte wahrscheinlich etwas über Ihre Schwester erfahren, oder? Hat sie Sie sehr aufgeregt?“
Tess zuckte die Schultern. „Wir kommen Sie darauf, sie hätte mich aufgeregt?“
Er lächelte leicht. „Sie haben vorhin erklärt, Sie würden sich nicht für Ihre Bemerkungen meiner Mutter gegenüber entschuldigen“, erwiderte er spöttisch. „Ich möchte gern wissen, was sie wollte.“
„Ach, sie hat offenbar geglaubt, ich wüsste mehr, als ich bisher zugegeben habe.“
„Hm.“ Er nahm die Hände aus den Taschen und verschränkte die Arme. „Vermutlich war sie unglücklich darüber, dass ich noch nicht mehr herausgefunden habe. Hat sie Ihnen erzählt, wie enttäuscht sie von mir ist? Sie wirft mir vor, als Ehemann und Vater versagt zu haben.“
Tess war schockiert. „Das hat sie nicht erwähnt.“
„Aber sie hat sicher angedeutet, ich sei für Marcos Verschwinden und seine Affäre mit Ihrer Schwester verantwortlich, stimmt’s?“
„Nein. Sie hat nur schlecht über Ashley geredet und ihr die Schuld an allem gegeben, nicht jedoch Ihnen oder Marco. Sie hat behauptet, meine Schwester habe ihren Enkel verführt, obwohl er noch ein Kind sei. Als ich entgegnet habe, bei uns in England würde man Sechzehnjährige nicht mehr als Kinder bezeichnen, hat sie auch mich kritisiert. Von Ihnen war kaum die Rede.“
„Sie enttäuschen mich.“ Seine Stimme klang ironisch.
„Okay, es gefällt ihr offenbar nicht, dass Sie sich in gewisser Weise mit mir verbündet haben“, fügte Tess hinzu. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie in den alten Jeans, die sie nur im Haus trug, bestimmt nicht besonders attraktiv wirkte. „Vielleicht befürchtet sie, ich hätte einen schlechten Einfluss auf Sie oder würde Sie verführen.“
Castelli blickte sie belustigt an. „Was meinen Sie, würde Ihnen das gelingen, meine Liebe? Ich bin kein Teenager mehr, der sich vom Aussehen einer Frau beeinflussen lässt. Mir ist der Charakter wichtiger als ein hübsches Gesicht.“
„Was sind Sie doch für ein abgeklärter Mensch.“ Sie konnte ihre Verbitterung nicht verbergen. „Hat Ihre Frau Sie deshalb verlassen? Konnte sie Ihren hohen Anforderungen nicht gerecht werden?“
Ihr war klar, wie unfair die Bemerkung war. Doch sie bereute sie nicht. Zu sehr ärgerte sie sich darüber, dass er einfach hier auftauchte und so tat, als wäre es sein gutes Recht. Weshalb er gekommen war, wusste sie immer noch nicht. Wahrscheinlich glaubte er aufgrund ihres Verhaltens am Strand, sie würde alles für ihn tun und wäre zu allem
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